Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
fragte sich, wo Verantwortung begann und wo sie endete.
»Er war süß und lustig. Er fuhr Rallyes.«
»Rallyes?«
Sie nickte. Sie dachte an Theres, die auch Rallyes fuhr. An Pauling, Theres’ Onkel, der auf die Dunkelheit gehofft und eine falsche Entscheidung getroffen hatte. Sie dachte an Peter Mladic, den Deutschen serbischer Abstammung. An Calambert, den sie vor zweieinhalb Jahren erschossen hatte. Aber das mit Calambert war etwas anderes gewesen.
Wo begann Verantwortung, wo endete sie?
Sie hatte Lust, mit Richard Landen darüber zu sprechen. Sie würde für den Rest ihres Lebens in Günterstal bleiben und mit ihm über die wichtigen Dinge der menschlichen Existenz sprechen. Über Wörter, die ihre Unschuld verloren hatten, und Verantwortung, die irgendwo begann, aber doch auch irgendwo enden musste.
Sie kehrten ins Wohnzimmer zurück. Santana spielten »Let the Children Play«. Sie liebte dieses Lied, sie hatte es seit Jahren nicht gehört. Die Sentimentalität der Vierziger. Plötzlich besann man sich auf die Kultur seiner Jugend, als hätte man etwas Liebgewonnenes am Wegrand vergessen und eilte nun zurück, um es aufzuheben. Man begann, das picklige, unreife, altkluge, zottelige Wesen jener Zeit zu mögen. Man begann vielleicht, es zu verstehen.
Dann holte sie ihre Sporttasche und ging hinter Landen in den ersten Stock. Auch hier waren alle Lichter eingeschaltet. Die Türen, die zu den Zimmern führten, standen offen.
»Schlafzimmer, Gästezimmer, Arbeitszimmer, Bad.« Landen deutete flüchtig mit der Hand. Auch hier oben herrschte eine beeindruckende Ordnung. Kein Teppich lag ein bisschen schief, kein Hemd hing außen am Schrank, kein Buch stand ein bisschen vor. Sie musste grinsen, als sie sich vorstellte, wie es morgen früh in diesem Haus aussehen würde.
»Was ist?«
»Alles ist so … unglaublich ordentlich.«
Richard Landen nickte. »Sie ist erst hier so geworden. So unglaublich ordentlich. Sie ist mit mir nach Deutschland gegangen, weil sie fand, dass es sich so gehörte. Die Frau geht dorthin, wohin der Mann geht. Sie dachte, irgendwann wird es ihr schon gefallen. Aber es hat ihr nicht gefallen, nie. Sie hat sich immer fremd gefühlt. Deshalb die Ordnung im Chaos.
Daran hat sie sich geklammert. An gerade Linien, das offensichtlich Perfekte. Die schlichte, vollkommene Schönheit eines durch nichts gestörten Anblicks.« Er breitete die Arme aus. »Zen.«
»Ich werde euer Zen ziemlich in Unordnung bringen«, sagte sie.
»Das haben wir schon getan«, sagte Richard Landen.
Das Badezimmer roch nach Tommo. Doch bis auf den Geruch war sie daraus verschwunden. Kein Fläschchen, kein Tiegelchen, kein Döschen, das nur Frauen verwendeten. War Zen nicht auch Leere?
Und war Leere nicht die perfekte Ordnung?
Sie seufzte. Die Gedanken begannen wieder zu kleben.
Sie zog sich aus, widerstand der Versuchung, ihre Kleidung in eine Ecke zu werfen, um in einer Woche nachzusehen, was damit geschehen war. Vielleicht wäre Tommo aus Japan gekommen, um sie zu waschen und zu bügeln.
Sie lachte. Ein bisschen Gemeinheit war schon okay. Vor dem Spiegel verging ihr das Lachen. Eine Woche Schlaf würde nicht annähernd genügen.
Die Lichter im Wohnzimmer waren ausgeschaltet. Die Musik war ausgeschaltet. Sie blieb an der Tür stehen, suchte in der Dunkelheit nach Landen, aber er war nicht da. Barfuß ging sie durch den Raum, setzte sich auf eines der Kissen. Ein wundervoller Ort, um mit ihm zu schlafen. Umgeben von der Stille und der Schönheit dieses kargen Raumes, in dem nichts vom Wesentlichen ablenkte.
Sie stand auf. Sie würde nicht in diesem Zimmer mit ihm schlafen. Nicht in diesem Haus. Sie mussten einen Ort finden, an dem es Tommo gegenüber nur ein bisschen gemein war.
Einen Ort im Raum oder in der Zeit.
Er war draußen, im Garten. Er saß auf einem Stuhl an der Rückseite des Hauses im Dunkeln. Auf einem Holztischchen standen Gläser und Flaschen, eine Kerze, die nicht angezündet war. Er lächelte, als sie kam. Das Lächeln war maßgeblich. Sie setzte sich frontal auf seinen Schoß, und sie küssten sich. Sie spürte erste warme Regentropfen auf den Armen. Fremde, warme Hände auf ihren Brüsten. Auch Richard Landen konnte also gierig sein.
Sie hatte den Eindruck, nach vielen Jahren in eine Art Heimat zurückzukehren. Sie dachte an Tommo, die in eine andere Art Heimat zurückgekehrt war.
Irgendwann später spürte sie, dass Landen die Augen geöffnet hatte. »Wir haben Zeit«, sagte er an
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