Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
waren Studenten, wenn überhaupt, TShirts machten doch noch keinen Studenten. Sie schüttelte den Kopf, wollte vor Wut lachen, da nahm sie die Fluggeräusche wieder wahr. Sie öffnete die Tür, legte den Kopf lauschend zur Seite. Wieder schien der Hubschrauber irgendwo über der Flanke des Rappeneck in der Luft zu stehen. Ruft doch endlich an, dachte sie und schloss die Tür, das darf einfach nicht sein, dass ich einer fixen Idee aufgesessen bin.
Und dann riefen sie an. Ein Mann, der Schober hieß, sagte, dass sie eine Person ausgemacht hätten. Sie liege ziemlich genau unter ihnen in einer schmalen Schneise am Bach.
»Sie liegt? « , fragte Louise.
»Ja.« Schober sprach weiter, doch seine junge, hohe Stimme ging im Lärm der Rotoren und des Regens unter.
»Was?«, rief sie.
»Also, wenn sie tot ist, dann noch nicht lange«, schrie Schober. Sie konnten die Temperatur über die Kamera nur plus/minus fünf Grad schätzen. Die Körpertemperatur der Person lag im Bereich normal minus fünf. Abkühlung pro Stunde um ein Grad Celsius, dachte Louise mechanisch.
Vielleicht ein bisschen schneller wegen des Regens. Falls dort oben ein Toter lag, dann seit höchstens drei, vier Stunden.
Sie stieg aus. Der Helikopter war zu hören, aber nach wie vor nicht zu sehen. »Wo liegt er?«
»Wenn ihr am Bach hoch geht auf halber Höhe.«
»Habt ihr noch jemanden gesehen?«
Nein, hatten sie nicht.
Nur eine Person, dachte sie. Wer mochte das sein?
Schweigend blickte sie auf die dunkle Front aus Bäumen, die sich vor ihr erhob. Dann bat sie Schober, im Führungs- und Lagezentrum anzurufen und den PvD zu informieren. Ihm zu sagen, dass am Rappeneck ein Toter lag.
Und dann fliegt noch eine Runde.
»Also, eigentlich sollen wir ja zurück«, sagte Schober.
»Eine kleine Runde, Schober.« Da mussten weitere Personen sein. Wenn da eine war, waren da auch weitere. Selbst wenn sie sie nicht sahen.
Schober sagte nichts.
»Bitte, Schober.«
»Hans«, sagte Schober.
»Hans.«
Sie hörte, dass sich der Helikopter entfernte.
»Einer«, sagte Thomas Ilic.
Sie nickte.
Sie saßen im Wagen, starrten auf die Windschutzscheibe. Über das Glas schossen Sturzbäche, sie sahen nur noch Wasser, dahinter nichts, nicht einmal die schwarze Nacht. Nur Wasser.
Tagelang lähmende Hitze und Trockenheit, dann, zumindest in den Tälern, die Sintflut.
Marcel im Großen Tal, dachte sie wieder, dazu Shahida und Jamal, Pakistaner aus Islamabad im Großen Tal, was für ein idiotischer Gedanke.
Aber an der Flanke des Rappeneck lag jemand.
»Illi, ich geh jetzt da hoch.«
Sie sah ihn an. Er nickte. »Ich komme mit. Es geht mir besser.
Es geht mir wieder gut.« Aber er erwiderte ihren Blick nicht.
»Ja.« Sie wandte sich ab.
Es war nicht ihre Entscheidung.
Auf der anderen Seite war es vermutlich die Entscheidung, die sie auch getroffen hätte, wenn sie an Thomas Ilic’ Stelle gewesen wäre. Die sie Jahre lang immer wieder getroffen hatte, obwohl sie oft genug zu viel Alkohol im Blut gehabt hatte.
Obwohl es ihr oft genug nicht gut gegangen war.
Also war es ihre Entscheidung.
Sie stiegen aus. Thomas Ilic öffnete den Regenschirm, Louise hakte sich bei ihm unter. Sie lachten angespannt – der Halbkroate, die Halbfranzösin im Einsatz, spazierten gemütlich unter einem großen bunten Schirm durch den Regen. Für Momente kehrte das alte Gefühl zurück, das Offenburg-Gefühl, das Kehl-Gefühl. Die Zuversicht, dass da beruflich etwas Wichtiges zwischen ihnen geschah, dass da aus den Umständen heraus ein Team mit Perspektive entstand. Mit Gemeinsamkeiten und hilfreichen Unterschieden.
Dann dachte sie an Heuweiler und daran, dass Thomas Ilic nicht hier sein sollte, nicht hier sein wollte, und die Zuversicht schwand.
Der Parkplatz glich einer Landschaft aus Seen und Schlammlöchern. Auf einer leicht ansteigenden Schotterstraße kamen sie besser voran. Das Wasser floss in die Böschungen ab.
Auf der Straße waren verschwemmte Reifenspuren, vage Fußspuren zu erkennen. Die Reifenspuren endeten, die Fußspuren begannen. Ein größerer Wagen, mehrere Menschen.
Auch Thomas Ilic hatte die Eindrücke bemerkt. Er zuckte die Achseln. Sie wusste, was er dachte. Waldarbeiter, Wanderer, was auch immer. Und vielleicht waren die Spuren Stunden alt.
Wer wusste schon, wann es hier angefangen hatte zu regnen.
Sie gingen weiter.
Eine Person, dachte sie. Wer mochte das sein? Wer lag da im Regen am Rappeneck?
Unmittelbar vor ihnen begann der dichte Wald,
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