Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
die dann aufhalten zu zweit? Verdammt, was willst du denn dann tun, Louise?
»Ich weiß es …«
»Verdammt, was machst du dann?«, schrie Thomas Ilic.
»Ich weiß es nicht!«, schrie Louise.
»Ich fahre mit dir«, sagte Ilic, plötzlich wieder ruhig.
»Nein!«, schrie Louise, und dann schrie sie einfach weiter, weil Thomas Ilic schon wieder so beredt schwieg, ließ es zu, dass sich für Sekunden eine maßlose Wut Bahn brach, eine mörderische Melange aus Empörung, Enttäuschung, Müdigkeit, Sehnsucht nach Schlaf und Fallenlassen, stell dich nicht so an, Illi!, schrie sie, Herrgott noch mal, was willst du denn machen, wenn die tatsächlich da sind und du stehst da oben im Wald und denkst an Heuweiler und Peter Mladic, glaubst du, das bringt uns was?
Thomas Ilic antwortete nicht.
»Herrgott noch mal bist du stur!«
Sie sahen sich an, der Halbkroate, die Halbfranzösin, und wieder ahnte sie, was in ihm vorging. Sie hatte ihn verletzt, sie hatte ihn stur gemacht, sie würde die Schlacht verlieren.
»Dann sind wir uns ja einig«, sagte Thomas Ilic.
»Nein.«
»Wir machen einen Kompromiss.«
»Ich hasse Kompromisse. Na gut.«
Susie Wegener würde sie bis Kappel begleiten. Dort würden sie Bermann anrufen. Dann würden sie entscheiden, wer Mahr in die Direktion brachte. Wer mit ihr ins Große Tal fuhr.
Erschöpft stieg sie aus. Wie kompliziert es war, mit Kollegen zusammenzuarbeiten. Wie schön es war, allein zu arbeiten.
Allein zu sein.
Sie verließen Kirchzarten, fuhren in die Dunkelheit hinein, Susie Wegener im Streifenwagen vorneweg, Louise und Thomas Ilic mit Mahr hinterher. Rechts lag Riedingers Weide, ein schwarzer Schlund, links erhoben sich bucklige Hügel mit Weiden, Höfen, Kuppen, auch davon war nicht viel zu erkennen. Nieselregen setzte ein. Später, auf halber Strecke zwischen Kirchzarten und Kappel, brach Mahr das Schweigen, fing wieder an mit seinem Belutschistan und seinem Jugoslawienkrieg und seinem Kampf für Demokratie und Freiheit. Dass sie seine Ideale nicht verstehe, seine Visionen, sagte er, sei ein Generationenproblem, dass ihre Generation die Ideale und Visionen seiner Generation nicht verstehe. Das ist unser Trauma, sagte er, das Trauma der Achtundsechziger, wir kämpfen weiter, wie wir in den Sechzigern und Siebzigern gekämpft haben, und unsere Söhne und Töchter, die in den Wunderjahren der bundesrepublikanischen Demokratie aufgewachsen sind, schauen uns verwundert und spöttisch zu, als wären wir Exoten, sie haben vergessen, dass wir diese demokratischen Wunderjahre erkämpft und ermöglicht haben, und sie begreifen nicht, dass man wieder kämpfen muss, dass unser Erbe gefährdet ist, die Demokratie und die Freiheit, das begreifen sie einfach nicht, und so lassen sie uns fallen, verraten uns, wenn wir den Kampf wieder aufnehmen, wieder Steine werfen …
»Sie meinen Bomben«, sagte sie. »Sie werfen Bomben.«
»Ich spreche metaphorisch, mein Gott … Das ist genau das, was … Das ist die unüberwindbare kulturelle Differenz zwischen den Generationen, von der ich spreche, zwischen unseren Visionen und eurem Alltagspragmatismus, zwischen unseren Metaphern und eurer Buchstabentreue. Wir lesen den großen Sinnzusammenhang, ihr lest das Wort.« Zwei Streifenwagen kamen ihnen entgegen, über dem Freiburger Osten sah sie einen Hubschrauber, immer wieder blitzte in der dunklen Ferne Blaulicht auf. Wir lesen das Wort, dachte sie, vielleicht stimmt das ja, wir lesen »Demokratie«, und dieses Wort hat nichts mit Morden zu tun, wir sind da ein bisschen beschränkt, wir denken nicht weiter. »Achtundsechzig«, sagte Mahr, »ist für euch Vergangenheit. «
»Sie sind kein Achtundsechziger, Sie sind ein Verbrecher, das ist der Kern des Problems, Mord ist keine Metapher, Herr Mahr, ganz egal, zu welcher Generation Sie gehören, und jetzt halten Sie endlich den Mund.«
Und Mahr gehorchte.
In Kappel stieg sie aus, entfernte sich im Regen von den Autos, rief Rolf Bermann an. Bermann brüllte wie erwartet Nein!, keine weiteren Leute, kein Helikopter, kein scheiß Großes Tal, ihr kommt jetzt augenblicklich in die PD! Ich glaub’s einfach nicht, Louise, schrie er, lass mich mit deinem Blödsinn in Ruhe, deinem Wahnsinn, deinen einsamen Kreuzzügen, warum musst du alles immer noch viel schlimmer machen, was du da jetzt wieder treibst, verdammte Scheiße!
»Ich gehe Spuren nach, du Arschloch«, schrie sie, legte auf und wählte Almenbroichs Büronummer, dann, weil niemand abhob, seine
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