Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
dem Schießstand verbringe. Weil sie gewusst hatte, dass er sie nur aus dem Weg haben wollte, war sie nicht darauf eingegangen.
Vielleicht ein Fehler.
Als die Männer erneut lachten, spannte sie den Hahn der Walther. Langsam ging sie am Bach entlang nach unten. Die Männer hörten sie, unterbrachen ihr Gespräch, sprangen auf.
Einer fuhr herum, dann der andere. Sie starrte in osteuropäische Gesichter, dachte: Kroaten, Rottweil 1992.
Verbindungen, Analogien, Systeme.
Die Männer sprachen wieder, hoben abwehrend die Hände.
Der Linke war kleiner, schmaler, nervöser. »Polizei«, sagte sie.
»Bewegen Sie sich bitte nicht. Verstehen Sie mich?«
Der Rechte sagte etwas in der fremden Sprache.
» Police « , sagte Louise, hob den Dienstausweis.
Die Männer nickten. Ihre Hände waren jetzt über den Köpfen.
Sie murmelten sich Wörter zu, die Louise nicht verstand. » Don’t do it « , sagte sie.
In diesem Moment drehten sich die Männer um und liefen in unterschiedliche Richtungen hangabwärts.
Sie folgte dem linken, kleineren, rief Flüche, Befehle, Warnungen, gab schließlich einen Schuss in die Luft ab. Die Männer rannten weiter. Der Vorsprung des linken wuchs, der andere war plötzlich aus ihrem Blickfeld verschwunden.
Fluchend steckte sie das Handy ein. Täschle musste den Schuss gehört haben, würde Verstärkung herbeitelefonieren.
Den Arm erhoben, den Kopf halb gesenkt, brach sie durch das Geäst. Zweige rissen ihr die bloßen Unterarme auf, Äste schlugen gegen ihre Beine, sie stolperte über Wurzeln. Der Abhang wurde steiler, sie hatte Mühe, ihre Schritte zu kontrollieren. Manchmal sah sie auf, erfasste die dunkelbraune Lederjacke vor sich, die wie ein Papierdrachen durch den Wald tanzte und immer kleiner wurde. Lass ihn doch laufen, dachte sie, die kriegen wir, wir haben Spuren, Zigarettenkippen, die DNA.
Aber sie hatte keine Lust, ihn laufen zu lassen.
Sie hatte Lust, das zu tun, was sie tat. Den Abhang mehr hinunterzustürzen, als zu rennen, dem Drachen hinterher, immer schneller zu werden, immer mehr die Kontrolle über sich zu verlieren, von einer Kraft erfasst, gegen die sie machtlos war, vielleicht einer physikalischen, vielleicht einer inneren. Einer Kraft, die sie in den Abgrund hinunterstieß, hinunterzog, auf dessen Grund ein lebloser Körper lag, der Taro sein konnte oder Niksch oder beide.
Sie spürte, dass ihr Tränen in die Augen stiegen, und lachte zornig.
Ein Schrei holte sie zurück. Der Mann war gestürzt und liegen geblieben.
Als sie bei ihm war, saß er an einen Baum gelehnt und atmete schwer. Ein Bein war ausgestreckt, das andere angewinkelt.
» Fuck you, police « , sagte er. Er war jung, Anfang Zwanzig, hatte ein hübsches, dunkles, wütendes Gesicht. Keuchend fragte sie nach seinem Namen, er antwortete nicht. Mit der Waffe bedeutete sie ihm, sich auf den Bauch zu legen. Er gehorchte, streckte die Arme aus.
In diesem Moment tauchte in ihrem Augenwinkel ein Schatten auf. Ein Körper prallte gegen sie, sie wurde herumgeschleudert, verlor die Pistole, schlug mit dem linken Arm gegen einen Baum.
Dann lag sie auf dem Rücken und versuchte zu begreifen. Der zweite Mann? Aber sie hatte nichts gehört, nichts bemerkt.
Ein stechender Schmerz drang in ihr Bewusstsein. Sie presste die rechte Hand auf den linken Oberarm, spürte Blut.
Die Stimmen von vorhin erklangen. Der Junge stöhnte, der andere redete auf ihn ein.
Louise setzte sich auf. Die beiden Männer starrten sie an. Der Junge war aufgestanden, der andere hielt ihre Pistole in der Hand. Auf Englisch sagte sie, Waffe fallen lassen, Hände hoch, auf den Bauch legen.
Die Männer lachten überrascht.
Louise lachte ebenfalls. Dann ließ sie sich auf den Rücken sinken.
Sie hörte, dass die Männer miteinander sprachen. Wieder stöhnte der Junge, dann schien er sich zu entfernen. Der andere kam ein wenig näher, aber nicht so nah, dass sie ihn sehen konnte.
Tränen strömten ihr über die Wangen. Sie schloss die Augen, schüttelte den Kopf. »Bitte nicht«, sagte sie.
Lange geschah nichts. Als sie die Augen schließlich öffnete und den Kopf drehte, waren beide Männer verschwunden. Die Walther lag in zwei, drei Metern Entfernung neben ihr. Sie richtete sich halb auf, besah sich die Wunde, die noch immer blutete. Der Oberarm war von der Schulter bis fast zum Ellbogen aufgerissen. Sie presste die Hand wieder darauf. Das Blut floss zu beiden Seiten darunter hervor. So viel Blut. Jetzt roch sie es auch.
Sie sank
Weitere Kostenlose Bücher