Bottini, Oliver - Louise Bonì 02
schal. Als sie das Büro vor wenigen Minuten betreten hatte, da hatte Almenbroich schon am offenen Fenster gestanden. Kommen Sie, Louise, hatte er gesagt, gleich fängt es an. Gemeinsam hatten sie auf den Regen gewartet, zwei erschöpfte, vertrocknende Kripobeamte, die aus unterschiedlichen Gründen kaum noch Schlaf fanden.
»Wie geht’s dem Arm?«
»Besser, danke. Und Ihrem Kreislauf?«
»Oh.« Almenbroich winkte ab.
Der Regen wurde stärker, die Luft feuchter. Im Osten war die Wolkendecke aufgebrochen, einzelne Sonnenstrahlen fielen auf die Hügel. Den Flaunser erreichten sie noch nicht.
»Wir haben zwei Namen«, sagte Louise.
»Geben Sie mir noch ein paar Minuten«, bat Almenbroich.
Sie musterte ihn. Das Ausmaß seines körperlichen Verfalls erschreckte sie. Das Gesicht grau, hohläugig, hohlwangig, der Rücken gekrümmt, der Mund immer leicht geöffnet, der Atem ging in kurzen Stößen. Sie fragte sich, wie lange er noch durchhalten würde. Sie brauchte ihn doch.
»Gut, ich bin so weit«, sagte er nach einer Weile. »Gehen wir zur Abwechslung in Ihr Büro.«
»Ich hab noch kein Büro.«
»Nein?« Almenbroich lächelte. Zum ersten Mal seit Tagen lag ein Funken Leben in seinem Blick.
Sie folgte ihm auf den Gang. Er lächelte noch immer. Ein Vater, der sein Kind ins Weihnachtszimmer führte.
Das Büro befand sich im zweiten Stock. Die Kollegen vom Rauschgiftdezernat hatten einen kleinen Meetingraum zur Verfügung gestellt, Almenbroich hatte Schreibtisch, zwei Stühle, Telefon, Computer und zwei Grünpflanzen besorgt. An einer Wand hing in Postergröße eine Fotografie. Asiatische Jungen in roten Mönchskutten liefen lachend eine Treppe herunter, auf den Betrachter zu. Sie war gerührt, wenn sie auch nicht verstand, worauf das Poster anspielen sollte. Auf die Monate im Kanzan-an? Dass es höchste Zeit war, wenn sie in diesem Leben Kinder haben wollte?
Almenbroich trat neben sie. »Die Kinder von Asile d’enfants.«
Sie schwieg überrascht.
Achtundfünfzig verschwundene asiatische Kinder, nur zwei waren Anfang des Jahres gefunden worden – Pham und das Mädchen aus Poipet. Von den anderen, die in Deutschland, Frankreich, Belgien, der Schweiz verkauft worden waren, fehlte jede Spur.
Nun kamen sie ihr in roten Mönchskutten lachend entgegengelaufen.
»Sucht noch jemand?«
»Nebenbei«, sagte Almenbroich.
Sie setzten sich. Almenbroich berichtete von der Soko-Besprechung gestern Nachmittag, die kurz gewesen war und kaum Neues gebracht hatte. Louise versuchte sich zu konzentrieren, aber ihr Blick glitt immer wieder zu dem Poster über seinem Kopf. Die Kinder von Asile. Ihr war zum Heulen zumute. Sie sah Almenbroich an und dachte: Aber will ich sie so vor Augen haben? Als wären sie wieder da oder nie missbraucht und verkauft worden?
Die tröstliche Illusion, die bittere Realität. Vergessen oder erinnern. Entscheide dich.
Nicht heute.
Nun, da die Zuständigkeiten klar seien, sagte Almenbroich, habe man die Soko mit Leuten aus Löbingers Dezernat und Staatsschützern vom D 13 aufgestockt. Löbinger leite die Soko, Bermann sei der Stellvertreter. Er lächelte viel sagend, Louise nickte. Bewährungsprobe für Rolf Bermann, der kein Stellvertreter war, sondern der Prototyp des Alphatiers. Nun also
»assistierte« Bermann.
»Jetzt zu den Namen, Louise. Was haben Sie?«
Sie erzählte von Ernst Martin Söllien und Halid Trumic, anschließend formulierte Almenbroich die Zusammenhänge: Ein Freiburger Rechtsanwalt verteidige im Jahr 1992 einen des Waffenschmuggels angeklagten muslimischen Bosnier.
Derselbe Rechtsanwalt wolle 2001 einem Kirchzartener Bauern eine Weide abkaufen, in der sich ein unterirdischer Schutzkeller aus dem Zweiten Weltkrieg befinde. Zwei Jahre später werde in diesem Keller ein illegales Waffendepot entdeckt – besser gesagt: in die Luft gesprengt.
Sie schwiegen. Almenbroich wirkte nachdenklich, Louise war skeptisch geworden. Es hatte allzu dünn geklungen.
»Na ja, es ist ein Anfang«, sagte sie schließlich.
»Mehr als das. Es ist die erste Spur, die uns nicht von irgendeiner Behörde, irgendeinem Kontaktmann, irgendeiner anonymen Quelle eingeflüstert wird. Vertrauen Sie diesem Täschle?«
»Ja.«
»Gut. Dann arbeiten Sie mit ihm. Ich hole Täschle in die Soko, dann gibt es da keine Probleme. Sie beide bleiben an Ihrer Spur, egal, was Anselm und Rolf sagen. Falls Sie herausfinden, dass die Spur nirgendwohin führt, überlegen wir weiter. Falls Sie Unterstützung brauchen,
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