Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
früheren Lebens. Nichts davon nützt mir im Augenblick.
»Ich heiße Benjamin«, sage ich.
Mein aktueller Name. Mein Name für diesen Auftrag. Mein Name für sie.
»Benjamin«, sagt sie. »So heißen doch nur alte Männer.«
»Ich habe eine alte Seele.«
Sie sieht mich prüfend an.
»Da haben wir was gemeinsam.«
Der Gong ertönt.
»Entschuldige, wenn ich dir vorhin so auf den Zahn gefühlt habe, Benjamin. Aber ich muss wegen meinem Vater sehr vorsichtig sein. Eine Menge Leute wollen mich aus den falschen Gründen kennenlernen.«
»Für eine Sekunde hast du mich aus der Fassung gebracht. Ich bin es nicht gewöhnt, dass jemand so ehrlich ist.«
»Schadet dir bestimmt nicht.«
Ein zweiter Gong ertönt. Der Gang füllt sich.
»War nett, mit dir zu reden, Sam.«
Als ich gerade gehen will, sagt sie: »Ich gebe heute Abend eine Party.«
Ich bleibe stehen.
»Komm doch vorbei, wenn du Lust hast. Wir feiern an jedem ersten April, und dieses Jahr bin ich dran.«
»In der Privatwohnung des Bürgermeisters?«, frage ich.
»Wo zufällig auch ich wohne.«
Ihr Vater wohnt nicht im Gracie Mansion. Er zieht sein Penthouse an der Upper West Side vor, weil er dort mehr Privatsphäre hat. Deswegen ist die Einladung auch etwas Besonderes. Ich kann es mir nicht leisten, sie abzulehnen.
»’ne Party? Klingt gut«, sage ich.
Der dritte und letzte Gong ertönt.
»Gut, dann sehen wir uns später«, sagt Sam.
Sie lächelt.
Ich hab’s geschafft.
Das Problem ist, dass ich neu an der Schule bin.
Allein auf Sams Party aufzutauchen, wäre absolut tödlich. Der Neue, der nur aus Mitleid eingeladen wurde, der den ganzen Abend in einer Ecke steht, Small Talk betreibt und sich an Cola-Light-Dosen festhält. Ich könnte mir auch ein anderes Image zulegen, nachdem ich dort aufgekreuzt bin, aber das wäre ziemlich aufwendig.
Ich könnte natürlich die Party auch sausen lassen, damit sich Sam fragt, warum ich ihr einen Korb gegeben habe. Ich wäre in ihren Augen interessant und geheimnisvoll und sie würde sich um mich bemühen.
Aber das kostet Zeit, und die habe ich nicht.
Ich muss eine andere Lösung finden.
Als ich in Gedanken versunken den Gang entlanggehe, sehe ich das blonde Mädchen, mit dem Sam am Morgen geredet hat. Das Mädchen mit dem knallengen Rock.
Einem superkurzen Minirock.
Sie fläzt sich auf einem Sitzsack und kämpft sich offenbar durch ein Chemiebuch. Sie seufzt, blättert eine Seite um, runzelt die Stirn.
Möglicherweise habe ich gerade eine Lösung für mein Problem gefunden. Ich steuere auf sie zu.
»Ist der schon besetzt?«, frage ich und deute auf den Sack neben ihr.
Sie blickt flüchtig auf.
»Nein, frei«, sagt sie und wendet sich wieder ihrem Buch zu.
Ich lasse mich fallen, hole ein Mathebuch aus meinem Rucksack und vertiefe mich darin, ohne sie weiter zu beachten.
Ich warte.
Neunzig Sekunden später sieht sie zu mir herüber.
Ich habe Zeit.
Sie schaut noch mal herüber. Jetzt, denke ich. »Was gibt’s Neues in der Welt der Chemie?«, frage ich.
»Mir raucht schon der Kopf.«
Sie sieht aus wie jemand, dem schnell der Kopf raucht. Aber diesen Gedanken behalte ich natürlich für mich.
»Chemie kann einen ganz schön fertigmachen«, sage ich. »Aber das ist nichts gegen Trigonometrie.«
Ich halte das Mathebuch hoch.
»Ich hab so viel gebüffelt, dass in meinem Kopf ’ne Ader geplatzt ist«, sage ich. »Aber in meiner alten Schule waren wir zwei Lektionen hinterher, da kann ich jetzt nicht einfach schlappmachen.«
»Wärst du dann nicht gelähmt?«, fragt sie.
»Bin ich auch. Aber nur halbseitig.«
Ich wedele unbeholfen mit der linken Hand, als wäre sie abgestorben.
Sie lacht. Dieses Mädchen hat Sinn für Humor. Vielleicht ist sie ja ganz in Ordnung.
»Du bist also neu?«, fragt sie.
»Ja, scheiße, was?«
»Voll scheiße«, stimmt sie mir zu.
Sie klappt ihr Buch zu und lässt es auf ihren Schoß fallen. Ich klappe ebenfalls mein Buch zu.
»Ich bin ganz gut in Chemie«, sage ich. »Wenn ich dir irgendwie helfen kann … «
Sie kaut auf ihrer Unterlippe herum.
»Hast du Ahnung von chemischen Reaktionen?«
»Jede Menge«, sage ich und zwinkere ihr zu.
Plump, ich weiß. Sam würde mir wahrscheinlich den Kopf abreißen, wenn ich so was zu ihr sagen würde, aber dieses Mädchen ist genau der Typ, dem das gefällt.
»Das ist ja echt schräg«, sagt sie und verzieht das Gesicht.
Wusste ich’s doch.
»Wie heißt du?«, fragt sie.
»Benjamin.«
»Darf ich dich Benji
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