Boy Nobody: Ich bin dein Freund. Ich bin dein Mörder. (German Edition)
schon von Anfang an hinter mir her. Seit meiner Ankunft in New York. Und ich hab’s erst später gemerkt. Nachdem ich das erste Mal in der Schule war.
Nachdem ich Sam kennengelernt habe.
Kann natürlich auch Zufall gewesen sein. Ich habe Sam kennengelernt und von da an wurde ich beschattet.
Aber wenn es nichts mit Sam zu tun hat, was steckt dann dahinter? Um das herauszufinden, muss ich mir dringend mehr Informationen beschaffen.
Und das geht am schnellsten, wenn ich mir den Schatten selbst vorknöpfe.
Genau das werde ich tun.
Und zwar jetzt.
Ich laufe auf ihn zu. Im selben Moment kommt der Zug mit knirschenden Rädern zum Stehen.
Als die Türen aufgehen, springt er auf den Bahnsteig und zwängt sich zwischen den wartenden Leuten hindurch. Ich setze hinterher und finde mich in einem dichten Menschengewimmel wieder.
Ich spähe über die Köpfe der Leute hinweg, kann ihn aber nirgends entdecken.
Der Schatten ist wie vom Erdboden verschluckt. Von wegen vorknöpfen. Das kann ich wohl vergessen.
Ich gehe langsam zum Waggon zurück, in dem Erica sitzt, und steige ein.
Das Abteil füllt sich. Ich quetsche mich neben Erica.
»Mir ist kalt«, brummelt sie im Halbschlaf.
Sie zieht an der Jacke, die ich immer noch in der Hand halte. Sneakers’ Jacke. Ich lege sie ihr um die Schultern.
»Mmm, besser«, sagt sie.
Ich greife in die beiden Taschen. Wo ist die Waffe? Aber es ist keine da.
»Durchsuchst du mich?«, murmelt Erica.
»Ich suche meinen Fettstift.«
»Mach ruhig weiter. Fühlt sich gut an.«
Ich nehme die Hände weg.
Sie seufzt, greift in die Brusttasche und zieht ein Preisschild heraus.
»Leider kein Fettstift«, sagt sie und gibt mir das Schildchen.
Von Gap. Die Jacke scheint neu zu sein. Genau wie die Sachen, die der Typ in dem alten Stadthaus anhatte.
Ich rekapituliere: Mehrere Männer kommen in die Vereinigten Staaten. Alle haben eine militärische Ausbildung. Sie wollen um keinen Preis auffallen. Also kaufen sie Markenklamotten.
»Komisch. Du bist eigentlich kein Gap-Typ«, sagt Erica jetzt etwas wacher.
»Ich stecke eben voller Überraschungen.«
Sie tarnen sich. Geben sich für etwas aus, das sie nicht sind.
Genau wie ich.
Das kann kein Zufall sein. Man hat uns auf dieselbe Sache angesetzt, nur mit unterschiedlichen Aufträgen. Ich will den Bürgermeister, sie wollen mich.
Warum?
Fünf Tage. Zwei davon sind schon vorbei. Bleiben noch drei.
Irgendwas Wichtiges wird in drei Tagen passieren. Aber was?
Erica zieht die Jacke fester um sich. Sie lehnt den Kopf an meine Schulter. Ihr weiches Haar streift meine Wange.
»Bei dir fühl ich mich sicher.«
Dann döst sie wieder ein.
Ich werde dafür sorgen, dass ihr nichts passiert. Und mir hoffentlich auch nicht.
»Hör auf! Du bringst mich um!«
Es ist Freitagmorgen. Der dritte Tag. Ich gehe gerade durch den Schulkorridor, als ich Howards schrille Stimme höre. So klingt jemand, der um sein Leben bettelt.
Als ich um die Ecke biege, sehe ich, dass Justin und die Speckschwarte Howard in eine Nische gedrängt haben. Justin drückt ihn mit einem Sitzsack gegen die Wand.
Howard hat keine Chance.
Dieser Gedanke löst in mir Unbehagen aus.
»Ich krieg keine Luft«, japst Howard.
Natürlich wird Justin ihn nicht umbringen. Aber er wird dafür sorgen, dass Howard für den Rest seiner Schulzeit nichts mehr zu lachen hat.
Nicht mein Problem.
Jungen wie Howard kennen gar nichts anderes. Sie sind die geborenen Opfer. Sie haben keine andere Wahl. Denn die Sache ist längst entschieden worden, vielleicht schon bei ihrer Geburt. Schicksal? Pech? Wer weiß das schon?
Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Oder ein zweites Facebook zu erfinden und es allen zu zeigen.
Egal. Ist jedenfalls nicht mein Bier. Also gehe ich weiter.
Justin macht einen Schritt nach hinten, als wolle er Howard loslassen, aber dann wirft er sich mit voller Wucht gegen denSack. Howards Kopf knallt mit einem dumpfen Schlag gegen die Wand.
Sam ist nirgendwo zu sehen. Kein Mensch weit und breit.
Außer mir.
Verdammter Mist.
Ich bleibe stehen und gehe dann zu ihnen hinüber.
»He, was macht ihr da?«, frage ich so laut, dass man es im ganzen Flur hören kann.
Justin dreht sich um, ohne Howard loszulassen. Die Speckschwarte kommt auf mich zu und versperrt mir den Weg.
»Das geht dich einen Scheiß an«, sagt er.
»Das seh ich aber anders.«
Die Speckschwarte grinst höhnisch. Ein Speicheltropfen hängt an seiner Unterlippe.
Ein gezielter
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