Boys Dont Cry
Augenbrauen.
»Schlafen«, sagte ich wehleidig. In diesem Augenblick hätte ich Geld dafür gegeben, eine Mütze Schlaf zu bekommen.
»Tja, wenn du nicht die ganze Nacht mit Emma auf und ab laufen willst, schlage ich vor, du findest heraus, was sie hat«, sagte Dad. »Gib sie mir mal.«
Mit Vergnügen. Ich reichte ihm Emma und meine müden Arme fielen schlaff herunter. Dann sah ich zu, wie Dad ihr die Hand auf Stirn und Wangen legte.
»Hmmm …«
»Was ist? Fehlt ihr was?«, fragte ich, plötzlich und unerklärlicherweise besorgt.
»Sie ist ein bisschen heiß und sabbert, als hätte sie einen Springbrunnen im Mund«, entgegnete Dad. »Emma, Mäuschen, lass mich mal dein Zahnfleisch ansehen.«
Mit der Seite des Zeigefingers hob Dad erst Emmas Unterlippe, dann ihre Oberlippe an.
»Braucht sie einen Arzt?«, fragte ich. »Soll ich einen Arzt holen?«
»Nicht nötig. Sie zahnt«, erklärte Dad. Er gab mir Emma zurück. »Warte hier. Ich bin gleich wieder da.« Dann verschwand er aus meinem Zimmer. Als er zurückkam, wedelte er grinsend mit einer Tube Zahnungsgel herum. »Bist du nicht froh, dass dein Dad die ganzen Sachen eingekauft hat?«
Froh? In diesem Augenblick hätte ich mich am liebsten niedergekniet und ihm seine Schweißfüße geküsst.
»Setz dich und nimm sie auf den Schoß, dann kannst du damit ihr Zahnfleisch einreiben.«
»Ist das denn unbedenklich?«
Dad sah mich betont unbeeindruckt an. »Darauf habe ich schon geachtet, Dante. Ich mach das nicht zum ersten Mal.«
»Schon gut. Deswegen musst du mich nicht gleich so anschnauzen«, murmelte ich.
»Es ist für Kinder ab zwei Monaten geeignet«, informierte mich Dad. »Hast du saubere Finger?«
»Natürlich«, entgegnete ich finster.
Dad drückte ein wenig von dem Gel auf meinen Zeigefinger und sah zu, wie ich es so behutsam wie möglich auf Emmas Zahnfleisch auftrug, dort, wo ihre beiden unteren Zähne durchbrachen. Emma kaute dabei auf meinem Finger herum, aber es tat nicht weh. Sie wünschte sich wohl ebenso sehr wie ich, dass ihr Zahnfleisch zu schmerzen aufhörte.
Dad blieb noch fünf Minuten, bis Emma sich beruhigt hatte und schließlich einschlief. Wie ein Zombie legte ich Emma in ihr Bettchen und deckte sie mit ihrer Babydecke zu. Dann fiel ich todmüde aufs Bett, unfähig, noch einen Finger zu rühren.
»Nacht, mein Sohn.« Ich bekam nur am Rande mit, dass Dad die Bettdecke über mich zog.
»Nacht, Dad«, murmelte ich.
Und dann war ich weg.
»Komm schon, Emma, nur ein paar Löffelchen«, bettelte ich.
Ich schaffte es kaum, meine bleischweren Augenlider offen zu halten.
»Mach den Mund auf, Emma«, sagte ich, mit dem Löffel vor ihren fest verschlossenen Lippen herumwedelnd. »Hier kommt das Flugzeug!«
Aber sie wollte partout nicht, und ich konnte es ihr nicht verdenken. Sie war vermutlich genauso müde wie ich, aber wenn sie jetzt nicht aß, verschob sich der Zeitplan des ganzen Tages. Ich wusste, dass man in diesen Dingen bei kleinen Kindern flexibel sein sollte, aber Flexibilität und Müdigkeit vertrugen sich einfach nicht. Und als ich am Morgen aufgewacht war, hatte ich das Gefühl gehabt, gerade erst eingeschlafen zu sein.
»Komm schon, Emma. Bitte iss noch ein wenig von diesem leckeren Bananenhaferbrei.« Ich beugte mich vor und öffnete meinen Mund, um es ihr vorzumachen.
Da streckte Emma die Hand aus und ihre winzigen Finger berührten meine Wange. Ich erstarrte. Wir sahen einander aufmerksam an. Emma streichelte meine Wange und lächelte. Mehr war es nicht, nur ein Lächeln. Als ich mich langsam zurückzog, hatte ich ein eigenartiges Gefühl, das ich nicht einordnen konnte.
Schließlich war Emma fertig gefüttert und jetzt trank sie Saft aus ihrem Schnabelbecher. Damit blieb mir, so schätzte ich, etwa eine Minute – wenn ich Glück hatte auch zwei –, um meine Schüssel Weizenflocken hinunterzuschlingen und ein paar Tassen Kaffee hinterherzukippen, bevor sie aus ihrem Hochstuhl genommen werden wollte.
Emma ging gern auf Entdeckungsreise und am liebsten erforschte sie momentan die Küche. Skeptisch sah ich mich um. Noch vor zwei Tagen war es nur eine stinknormale Küche gewesen. Sicher, der Boden hatte ein wenig geklebt, und die Arbeitsflächen hätten sauberer sein können, aber alles hatte seinen Zweck erfüllt und ich hatte mir nie auch nur im Entferntesten Gedanken darüber gemacht. Jetzt war die Küche eine Todesfalle, unsichtbare Gefahren lauerten an jeder scharfen Kante, an der man sich verletzen
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