Braeutigame
aufzuheben.
„Du schöne schöne…“, flüsterte er.
„Gustav!“, schrie eine Frau, die hinter ihm vom R ing her gelaufen kam. Es war Irma Schilling. „Gustav!!“, rief sie. „Lass das sein und komm sofort her! Gustav! Hörst du!“
Sie ließ sich auf die Knie fallen, als sie ihn vornüber kippen sah, mit dem Gesicht zuerst, in den Straßenstaub. Einer der Soldaten lachte. Die beiden kletterten wieder in den Panzer, schlossen die Luke hinter sich und fuhren, eine schwarze Ruß wolke ausstoßend, langsam an, die Kälber Drift zum Or tsausgang hinunter, dem Fluss zu.
Mischka rannte auf die Straße, zu Rosie, Gustav und Irma Schilling, die halb auf ihrem Sohn lag und ihm die Wangen streichelte. Er hockte sich neben sie, legte seinen Arm auf ihre Schulter. Gustav atmete nicht. Er hatte eine kleine, blutige Wunde rechts am Hals.
Etwas traf Mischka in den Rücken und ließ ihn vornüberfallen. Er stützte sich mit den Handflächen ab und wandte sich um.
Wladi stand grinsend hinter ihm. „Sieh mich an, du!“, sagte er auf Russisch. „Da guck st du nun!“
„Was soll das!?“, rief Mischka. „Spinnst du?“
„Was das soll? Du Deutschenpinsel! Du Deutscher!! Was das soll!? Idiot! Du hast nie irgende twas kapiert. Jetzt ist es passiert – wie ich immer gesagt habe. “
Wladi spuckte auf den Boden, drehte sich um und ging mit langen Schritten davon, den Breiten Weg hinunter Richtung Ring.
Als die Sonne aufging, sahen sie Wladi auf Emil Gieses Lanz Bulldog mit voller Geschwindigkeit den Breiten Weg abfahren und Staub aufwirbeln , als wollte er sein Revier markieren. Die alte Zedel, die mit ein em Fahrrad im Oberdorf unterwegs war, stieg unter den Akazien ab und sah ihm nach. Zwischen den braunen Zahnstümpfen, die ihr vorne geblieben ware n, hing eine Pfeife. Sie brumm te vor s ich hin, schüttelte den Kopf .
„Warum tut er das?“, fragte Mischka, der neben Daniel Freier im Kontor saß und die Waffen reinigte.
„Ich weiß es nicht. Was sagst du – ihr seid beide Russen, ihr zwei?“
Mischka zuckte mit den Schultern ohne aufzusehen. An seinen Fingern klebte schwarz grau glänzendes Öl.
„Aber eines weiß ich, Mischka: Einfach so fährt man nicht den Weg entl ang. Nicht einmal Wladi. Schon gar nicht mit dem guten Lanz. Ich glaube nicht, dass Giese das weiß.“
„Wladi war schon immer sonderbar “, s agte Mischka. „Der glaubt, morgen könnte er in die Primaria einziehen.“
Freier nickte. „Wird er vielleicht sogar. Viele Russen gibt es hier nicht mehr außer Wladi und dir. Ein, zwei Dutzend insgesamt?“
„Er ist ein schlechter Mensch.“
„ Aber Schlachten kann er gut. Da kann man sagen, was man will.“
„Wer schlachten kann, kann noch lange keinen Borscht kochen.“
Der 29. Juni 1940 war der erste Sonntag in Alma Kraft s Leben, an dem die Kirchenglocken nicht läuteten. Pastor Pomreinke, Hellmuth Lobgott und Alfred Ziegelmacher hatten Wichtigeres zu tun. Der Gottesdienst fiel aus.
Lobgott lief am Morgen über den Ring, hierhin und dort hin, wie ein Verrückter, und verrückt war er auch, bis er sich irg endwann fing und zu jammern aufhörte. Ein G las seiner Brille fehlte. Sein schütter es Haar, das er sonst mit Pomade sorgfältig über den kahlen Schädel klebte, hing ihm über die Augen.
Unter den Akazien am Ring standen d ie Leipziger in Gruppen zusammen und flüsterten sich hastig die Nachricht en zu – so lange, bis sie ein Soldat zum Weitergehen aufforderte und sie sich in einen der Höfe zurückzogen. Ab und zu sahen sie zur Schule und zu Lobgotts Küsterhaus hinüber, aus dem noch immer dichter Rauch senkrecht in den blauen Sommerhimmel stieg. Allen war klar, dass sich ihr Dorf in einer ungemütlichen Lage befand, aber die Wenigsten fürchteten sich vor den Russen. Die meisten Soldaten waren junge Männer aus dem Osten, keine zwanzig Jahre alt, in viel zu großen Uniformen, deren Jacken ihnen über die schmalen Hüften hingen und in der Taille von einem breiten Stoffgürtel gehalten werden mussten. Sie hatten vor allem Hunger. Einige Leipziger Frauen – die älteren, denn um die jungen sorgten sich die Väter und Männer – brachten ihnen aus Mitleid Suppe, Brot und Käse.
Die Soldaten bedankten sich artig. Ihne n war Plündern verboten worden.
„Die haben sich jetzt zu benehmen“, sagte Giese. „Die Deutschen in Bessarabien stehen unter dem persönlichen Schutz des F ührers. Dem persönlichen . Wenn sich einer von denen nicht zu benehmen weiß und
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