Braeutigame
Erdspalte verschlungen zu werden, die sich unter ihr auftun könnte.
Lobgott machte sich auf die Suche nach Emil Giese, den er in der Primaria fand. Giese schrie die Russen an, wie ihn noch kein Leipziger hatte schreien hören. Di e Soldaten verstanden ihn, sagten aber nichts, sondern sahe n nervös weg. Befehl , sagte schließlich einer, auf russisch . Schule. Exempel.
Lo bgott setzte sich auf den Fuß steig, wo ihn einige Leipziger aufzumuntern versuchten, und sah zu, wie das Küsterhaus und die Schule brannten. Schließlich machte er sich zu Fuß auf den Weg zur Kälber Drift. Die Bienen hatten ihn ins Gesicht gestochen. Ein Auge war von unten zugesc hwollen.
„Hast du schon gehört, Lobgott?“, grüßte ihn Daniel Freier. „Kutscherjawi und seine Frau und der Junge – die sind aus dem Dorf gerannt, zum Bahnhof hin und raus, nach dem Westen hin. In der Nacht noch. Ei nfach weg. Samuel Trautmann hat e s mir eben erzählt. Nicht mal bedankt haben sie sich. Bei niemandem. War vielleicht keine Zeit dafür.“
Lobgott sagte nichts. Er setzte sich auf einen Stuhl in der Sommerküche und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
Daniel Freier saß an seinem Schreibtisch im Kontor. Vor dem Fenster zum Hof regnete es in schweren Tropfen, die auf das Schardach fielen und die Scheibe nicht erreichten. Mischka stand mit gesenktem Kopf vor ihm , dicht neben der Tür, als fühlte er sich unwohl . Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen.
Freier bot ihm Zigarette und Feuer an.
„Hast du das gesehen?“, fragte er Mischka . „Einer von d ies en Verbrechern hat letzte Nacht den Samowar gestohlen. Obwohl die Mädchen ihn mit Holz und Stroh zugedeckt hatten. “
Mischka nickte.
„Wir hätten ihn reinholen sollen. Wäre besser gewesen. Gelegenheit macht Diebe. “ Er zog an seiner Zigarette. „Was soll’s. Ich sag e dir eines, Mischka. Lange hat diese Ewigkeit nicht gedauert.“
„Was meint Ihr?“
„Zur ewigen Nutzung haben die Russen uns das Land gegeben. Deine Vorfahren unseren Vorfahren. Euer Zar Alexander. So hieß es da mals . Zur ewigen Nutzung . Keine hundertdreißig Jahre . Das war schon alles.“
„Vater , ich will mit gehen mit Euch“, sagte Mischka schnell.
Freier sah ihn an, überrascht. „Das geht nicht“, sagte er. „Mitgehen?“
Mischka strich sich das nasse Haar aus der Stirn.
„Du weißt doch, dass es nicht geht. Nur die Deutschen dürfen gehen – ach, was rede ich denn? M üssen gehen. Fragen tut uns ja keiner. Die Russen und die anderen können nicht mit.“
„Vater , bitte... – Nehmt mich im Wagen mit, wenn Ihr fahrt. Hinten, unter der Plane.“
„Ach Mischka … Das ist doch Unsinn. Du weißt doch, dass es nicht geht. Wer kein deutsches Blut hat, darf den Budschak nicht verlassen. Und einen Passierschein hast du schon gar nicht. Wo willst du in Galatz hin?“
„Mit euch mit. Weiter. Galatz und weiter.“
„Und wohin dann? Nach Deutschland ? I ns Reich? Du machst mir Spaß. Das ist doch nicht dein Land. Freu dich – du bist Russe, sie werden dich nicht verjagen. Du bist einer von denen und kannst ihnen helfen. Einen Hof werden sie dir geben, jetzt wo Bessarabien wieder russisch wird. Wenn du Glück hast und es klug anstellst, vielleicht sogar unseren. Oder sie geben dir einen da, wo du her bist. In Taurien oder irgendwo im Osten. Da ist gutes Land.“
„Das werden sie nicht tun.“
„Was du nicht alles weißt .. .“
„Ich kann nicht zu den Russen. Ich kann nicht mehr zurück. Nach Taurien schon gar nicht.“
„Was red e st du … –“
„S ie nehmen keine Deutschen. Nicht jetzt.“
„Du bist doch aber nicht deutsch, Menschenskind!“
„Ich spreche deutsch.“
Freier sah ihn erstaunt an.
„Das reicht, Vater . Ich sprech e doch D eutsch. Ich habe mit Deutschen gearbeitet. Ich denke deutsch. Manchmal. Ich bin zu lange hier.“
„Ich glaub e kein Wort, Mischka. Russisch sprichst du und Ukrainisch und R umänisch , und ich weiß nicht , was sons t noch – und eben D eutsch. Es ist doch dein… dein Volk. Das russische.“
Mischka schwieg. Er schüttelte langsam den Kopf. „Nicht jetzt“, sagte er schließlich. „ Früher, ja. Später vielleicht. Aber heute ist es nicht mein Volk. Ich weiß es. Meine Brüder... – Die Bolschewiken waren nie gut auf uns zu sprechen. Meinen ältesten Bruder haben sie abgeholt. Den hat seit Jahren keiner mehr gesehen.“
„Oh. Das tut mir leid. Aber...“
„ Nehmt mich in einer Kiste hinten auf der Pritsche mit.
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