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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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Finger, die Oberlippe mit der dünnen Kindheitsnarbe, die Zähne. Aber der Primar hatte keine Wahl: Es blieb keine Zeit, mitten in der Nacht nach anderen Boten zu suchen oder Zettel zu schreiben; alles musste schnell gehen. Also hatte er Trautmann geschickt, der nur noch ein Bein hatte und, wenn es darauf ankam, nicht zum Helden taugte.
    Die Nachricht war vom Ring in einer Stunde durch das Dorf gegangen – bis in die letz ten Höfe, die an den Feldern lagen, mehr als zwei Werst vom Ring entfernt. Gieses Boten hatten es allen zugeflüstert, und jeder hatte es sofort den Angehörigen, Knechte n und Nachbarn weitergesagt: Die Russe n hatte n sich Leipzig genommen. Leipzig, den Budschak, Kischinjew, das Land, alles.
     
    Breite r Weg und Kälber Drift lagen still in der Nacht. Bis auf die Lampen am R ing brannte nirgends Licht. Dennoch war in den frühen Morgenstunden der ganze Ort auf den Beinen – aufgeregt, gefasst, in Eile. In kürzester Zeit verschwand alles, was auf den Höfen von besonderem Wert war: in Magasin-Verstecken; in Eiskellern und Erdlöchern; in Fallböden, die in den Viehställen unter dichtem Stroh und Mist für Nächte wie diese angelegt worden waren; in Säcken, die an Eisenhak en in die stinkenden Gruben der Nuschni ks gehängt wurden. Geld und Schmuck , Persianer- und Zobelfelle, wertvolles Geschirr und Silber, Stoffe, Schnaps – alles löste sich in Luft auf, bevor die ersten russischen Soldaten ihre Gesichter an den Türen zeigten. Noch in der Nacht wurden Schweine erschlagen, einzeln und von hinten, mit Beilen und stumpfen Keulen, damit sie überrascht wurden und keinen Laut von sich gaben. Die Tiere hatten kaum Fett angesetzt, es war viel zu früh im Jahr. Die langen, dünnen Körper hingen zum Ausbluten hinter verschlossenen Türen in den Ställen und Scheunen, wo sie niemand sehen konnte.
    „Wo sind die Rumänen alle , Herr Giese?“, flüsterte Georg, der hinter seinem Vater in den Hof gekommen war. Er war noch immer barfuß.
    „Weg“, sagte Giese.
    „Aber die haben Miliz hier. Überall zwangseinquartiert hab en sie die doch , bei Trautmann in der Lehmkuhle und im Oberdorf… – ihre Husaren, die Kavallerie mit den Männern von der Garde. Was ist mit denen?“
    „Die sind alle weg. Abgehauen. Na ch Westen, raus aus der Steppe . Noch vor Mitternacht. Die haben es gewusst und sind per Befehl ausgerückt und nach Hause geritten.“
    Daniel Freier stöhnte .
    „Die können mit ihrer Kavallerie ja schlecht gegen die Panzer der Roten anreiten – weißt doch, Freier, wie denen ihre geschundenen Pferde aussehen. Und weißt du , was sie gemacht haben, bev or sie verschwunden sind ?“
    „Na?“
    „Die Primaria haben sie still und heimlich aufgebrochen und die Waisenkasse mitgenommen.“
    „Ach du meine Güte . Das ganze Geld…“
    „Weg. Alles weg .“
    „Diebe sind’s doch alle. Die einen wie die anderen.“
    „Schießen die Russen denn?“, fragte Heinrich Kraft.
    Giese zuckte mit den Achseln. „Hörte sich für mich so an, als hätten sie am Ring ein paar Mal um sich geschossen. Aber an und für sich sind nur die Panzer eingefahren. V om Bahnhof her, d a waren sie zuerst. Ach, noch was... Nun ist Schluss mit dem Rumänischen. Nun geht alles wieder auf Russisch, wie damals in der alten Zeit. “
    „Geh in die Kammer und zieh dir Schuhe an“, sagte Freier zu Georg. „Die festen Stiefel. Dass du richtig reiten kannst.“
    „Die Kleinen haben Angst“, sagte Alma in der Sommerküche. Sie stapelte Rebscheite und getrocknete Miststücke vor dem Samowar auf, um ihn zu verstecken. „Lilli und Arthur.“
    „Dann nimm sie und sag ihnen, dass alles gut wird. Und Georg ...!? – wo ist Mischka? – ah , hinten ist er mit Rosie… Georg, nimm dir Mischka und geh in den Stall und macht den Wagen fertig. L eise. Mit dem besten Geschirr, dem dicke n braunen, bulgarischen. Nehmt die jungen Stuten.“
    „Wofür denn?“
    „Man kann nie wi ssen, Junge. Vorsicht ist besser als ein Ung lück. Und noch was: Schickt Jakob eben zur Stelter rüber. Der soll zusehen, dass s ie auf den Beinen ist und was am Leib hat. Sonst kriegt sie vielleicht nichts mit , alt wie sie ist .“
    „Wie die Heuschrecken kommen sie“, sagte Giese leise zu Freier. Er zündete sich eine Zigarette an. „Die rauch e ich schnell mit dir, dann reit e ich zum Ring – komm mal mit, wenn du nichts Besseres zu tun weißt, Freier. Du h ast deinen Heinrich und Georg hier. Sind doch erwachsene Leute.“
    „Meinst du, das

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