Braeutigame
Ausschau nach Elwira . Freier holte sie zu sich und schickte Hedwig zum Melken.
Das Haus der Dressners war verlassen. Elwiras Grammofon stand nicht mehr in der Stube. Der gute Teppich war weg und hatte ein helles Rechteck auf den Dielen hinterlassen.
Freier nahm den Dressners übel, dass sie sich nicht verabschiedet hatten. Doch als er sah, wie Alma und Minna am Tisch in der Sommerküche miteinander we inten, verdrängte er diesen Gedanken . Er fragte sich, ob Boias, dieser sanfte Mann, sein bester Freund, überhaupt ein Gewehr besaß. Hoffentlich hatte Elwira sich darum gekümmert.
Der Kommandant der Russen hieß Kirill Dimitrij ew itsch , hatte kurzgeschorene Haare auf dem Kopf und buschige, schwarze Augenbrauen, die auf der Stirn zusammengewachsen waren . Er war um die vier zig, durch nichts aus der Ruhe zu bringen und hatte von d er trockenen, staubigen Luft tränende Augen. Emil Giese und Ziegelmacher gegenüber war er so ausgesucht höflich, dass es schon wieder herablassend war und eine Beleidigung , jedenfalls für den empfindlichen Schütz. Kirill Dimitrij ew itsch sprach mit leiser, weicher Stimme, war stur und ließ sich von kein em Vorhaben, das er sich in den Kopf gesetzt hatte, abbringen.
Vor allem hatte er sich in den Kopf gesetzt, auf der Ebene oberhalb der Serpentine, wo Weizen, Mais und Sonnrosen stand en, ein Flugfeld zu bauen. Er hatte eine Feldkarte in kyrillischer Schrift dabei, auf der er nebeneinander zwei rote Linien eingezeichnet hatte. Man möge, nuschelte Kirill Dimitrij ew itsch, am nächsten Morgen Punkt sieben oben auf dem Hügel antreten, auf dem mittleren Stück, das der Nemjetz Bullenkessel nannte – ja, ja, alle, alle, die Männer, die Frauen, alle bis auf kleine Kinder, die Schwangeren und die stillenden Mütter, und man möge, paschalsta, Feldgerät mitbringen, das eigene, welches nun sonst, Genosse Giese, er möge das Denken beschleunigen, sonst könnte man ihn womöglich für schlicht halten? Sensen, Gabeln, Schaufeln, Harken, Karren, Wagen.
Giese protestiert e . Die Weizenähre n hingen grün an ihren Halmen und wären in zwei, spätestens drei Wochen reif für die Ernte. Und diese Striche dort auf dem Plan – das wären, sagte er, an die hundert Dessjatinen, wenn nicht mehr !? Das zu roden, Genosse, würde ihnen den Hunger bringen und einigen Bauern den Ruin.
Kirill Dimitrij ew itsch nickte freundlich. Giese sah in seine tränenden Augen. „ Da, da “, sagte der Kommandant , jede einzelne Silbe langsam aussprechend, als wollte er sie betonen . „Das ist richtig. Hunger und Ruin.“ Er fügte mit leiser Stimme an, um wie viel angenehmer das wäre als die Alternative, wenn man einmal in Ruhe darüber nachdächte.
Ein Viertel des Landes, das sie roden sollten, gehörte Daniel Freier.
Am ersten Morgen, a n dem sie zu Fuß die Serpentine hochstiegen, lag die Luft brütend im Tal des Kogälnik s . Der Fluss hatte im Laufe der Sommerwochen stetig Wasser verloren und wand sich schmal und trüb durch sein Bett. Die Sonne hatte die Erde der Felder hart gebacken. Die Leipziger schüttelten die Köpfe: Sie verstanden nicht, warum sie die Ernte vernicht en sollten, gute s G etreide. Selbst die Russen, sag ten sie, konnten nicht ohne Weizen und Mais leben. Die meisten behielten ihre Gedanken für sich.
Mehrere Familien vom hinteren Ende des Unterdorf s glaubten , dass die Bolschewiken sie an diesem Tag wegbringen wollten. Sie hatten Sonntagskleidung angezogen und Handk offer mit den Papieren und dem Allernötigsten dabei. Es war ihnen peinlic h, als sie die anderen in Arbeitskleidern kommen sahen, das Feldgerät auf den Schultern. Natürlich wurden sie ausgelacht. „Heute so gepflegt, Herr Rundgeburt!?“ , wurde höhnisch gerufen. „Geht e s in die Kirche? Oder schon ins Reich , zum Herrn Führer ?“
Die Unterdörfler unterhiel ten sich leise, schämten sich zuerst gemeinsam, beschimpften sich dann gegenseitig . Als sie den Bullenkessel erreichten, reihten sie ihre Koffer n ebeneinander am Feldrand auf, legten ihre Jacken und Westen darüber und krempelten die Hemdsärmel auf .
Giese berichte te, dass Leipzig nicht mehr Leipzig hieß, sondern Gorad Bessarabka. Alle lachten, als sie es hörten, aber nur kurz. Dann waren sie still und zogen die Sensen wieder in langen, gleichmäßigen Halbkreisen durch den fast reifen Weizen.
Alma blieb einige Stunden neben Lobgott, der an Feldarbeit nicht gewöhnt war. Er hatte schon am Morgen Blasen an Ha nd fläch en und
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