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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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Wohl zu sorgen weiß –, die nehmen wir auch mit, was?“
    „Ja, sicher“, sagte Irma Schilling zögernd; der Gedanke war ihr nicht gekommen, dass sie die Reise nicht zusammen fortsetzen würden. „Das ist eine gute Sache, Herr Freier. Wir alten Leipziger müssen zusammen halten, so lange es geht mit uns.“
    „So machen wir es“, r ief Hildchen Glück. Sie drückte mit Jakobs Messer zwei Löcher in den Dos endeckel. „Zusammen geht es gleich viel besser. Hier! Wohl bekomm’s. Man muss bisschen dran zutschen. “
    Sie reichte Alma die Dose, die Ilse einige Tropfen in den Mund träufelte.
    „Vielleicht bringt uns Ihr lustiger Name ja Glück“, sagte Lobgott.
    „Das hoffe ich seit Jahren, guter Mann, a ber es will einfach nicht klappen. Fragen Sie meinen Mann. Und wo wir hier stehen – kommt mir das nur so vor, oder ziehen vorn schon wieder diese fürchterlichen Schneewolken au f? Eine Kälte ist das, in der möchte man keinen vor die Tür jagen. Einen Pelz bräucht e man !“
    Arthur sah sie neugierig an.
    „Und du?“, gluckste sie. „Spielen wir nachher Auf-Stühlen-nach-Moskau-Fahren?“
    „Warum?“, fragte Arthur.
     
    Im Obra-Bruch bildete sich ein Treck aus mehreren tausend Flüchtlingen – eine Schlange dunkler Gestalten, die keinen Anfan g zu haben schien und kein Ende, aus dem Baltikum, aus Ostpreußen , aus Danzig und Gotenhafen, einige aus dem Generalgouvernement. Es waren so viele , dass d ie Freiers darauf achten mussten, sich nicht aus den Augen zu verlieren. Immer wieder fiel Schnee, der schmolz, sobal d er den Boden berührte. Hunde, die mit ihnen zogen, schlichen geduckt unter den Planwagen, um sich vor dem Wetter zu schützen, hinter den dumpf durch den Schneematsch pflügenden Hufen der Maultiere und Pferde.
    „Es ist komisch“, sagte Lobgott zu Prudöhl, als sie sich einem Dorf namens Rakwitz von Süden näherten. „Keiner sagt et was – keiner schimpft und zetert. Alle sind so sehr mit dem Wegkommen beschäftigt, dass überhaupt keine Zeit für Streiterei bleibt. Ruhig ist es wie auf dem Friedhof , wenn man mal von den Gespannen absieht .“
    Prudöhl grunzte. Er hatte keine Lust auf Lobgotts Gerede, das er töricht fand.
    „Fast möchte man meinen, dass jedes Elend irgendwo auch eine… wie sagt man das, Doktor…? eine Art Gemütlichkeit in sich hat. Das scheint das richtige Wort zu sein , ja. Nun ist es auf einmal egal, wer arm ist und wer reich, wer Land hat und wer nicht, oder jedenfalls hatte, denn wer weiß, was wird, nach diesem Krieg? Die Ersparnisse – alles ist perdu . Wer fromm ist und wer ein Heidenkind, man sieht es nicht mehr , wenn alles auf der Flucht ist …“
    „Du redest wieder Stuss, Lobgott“, sagte Prudöhl, der sich seit dem Aufbruch in Liebfelde nicht mehr rasiert hatte un d einen dichten Bart trug.
    Lobgott ließ sich nicht bremsen . „So hat alles sein Gutes. Was einen nicht umbringt, macht einen stark. Kennst du eigentlich Nietzsche, Doktor? Friedrich Nietzsche?“
    Prudöhl sah ihn von der Seite an. „Warum fragst du? Kennen schon. Natürlich. Ich bin klüger, als ich aussehe .“
    „Die Ermüdung ist der kürzeste Weg in die Gleichheit und Brüderlichkeit. So sprach Nietzsche. – Auch wenn man meinen möchte, es sei ein Psalm Davids, so schön und weise, wie es klingt.“
    „Blödsinn“, sagte Prudöhl trocken. „Du solltest dir lieber deine Kraft für später aufsparen, Herr Musikus. Das will wirklich keiner hören hier, was dein Nietzsche sich alles ausgedacht hat auf seiner Chais elongue vor dem Kaminfeuer im Salon .“
    „Bitte, bitte“, sagte Lobgott, „ich bin schon ruhig. Man wi ll ja keine Perlen vor… Es ist auch egal.“
    „Siehst doch, wie die Alten ums Leben kämpfen hier. Und die Kinder. Wann war das letzte Mal, dass Du ein Kind hast schreien hören?“
    „Jetzt, wo du es sagst… herrlich ruhig ist…“
    „Siehst du. Das ist nicht gut. Gar nicht gut ist e s, wenn die Kindchen nicht mehr jammer n. Schau dir mal unsere Ilse näher an. Die Nase blau… Die bekommt schon nichts mehr richtig mit.“
    „Weißt“, sagte Lobgott, „eine aus Kalisch, die soll in einem Koffer den verbrannten Körper ihres Sohnes dabeihaben. Schleppt sie mit sich rum. “
    Prudöhl sah ihn an.
    „Zwei oder drei Jahre soll er gewesen sein, als er starb. Nun schiebt sie eine Karre vor sich her, auf der der Koffer mit ihrem Kind liegt, und wenn ihr einer die Karre nehmen will, um eine Alte drauf zu setzen, die nicht mehr kann und sich

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