Braeutigame
hingesetzt hat in den Schnee, dann wehrt sie sich so heftig, dass man sie in Ruhe lässt.“
„Warum erzählst du mir das?“
„Nur so. Weiß ja keiner, ob die Geschichte stimmt. Nur so. Man muss doch et was reden. Man muss die Zeit totschlagen , sich ablenken – beim Weglaufen mehr als bei irgend et w as anderem, nein? Wer will immer nur an die eigenen Sorgen denken?“
„Gegen was Schönes hätte ich nichts einzuwenden… aber solche Sachen... Halt lieber den Mund. Ich will mit dir nichts reden, hörst du mich?“
So sehr Prudöhl sich bemühte – d ie Geschichte, die Lobgott ihm erzählt hatte, ging ihm nicht mehr aus dem Kopf: der verbrannte Leib, von dem die Mutter sich nicht trennen mochte, weil sie nichts anderes mehr hatte.
Kapitel 15 : Gottes Brünnlein
Vor Kolzig trennten sie sich. Freier brach mit Lobgott und dem Doktor nach Schlesien auf, um sich zu melden. Seine Kinder und die beiden Frauen folgten weiter der Landstraße nach Westen, die nun über kleine Städte führte, Kolzig, Kontopp, Lieb enzig.
„Ihr müsst an jedem Morgen nach der Sonne sehen“, sagte Freier beim Abschied, „und dann lauft immer von ihr weg. So lange ihr nach dem Westen geht, macht ihr nichts falsch, dann seid ihr irgendwann den Russen los, früher oder später. Wir haben ihn jetzt schon nicht mehr auf den Fersen, meine ich. Fast zwei Wochen ist es her, dass wir die Artillerie gehört haben. Aber geht weiter, bis ihr in der Neumark seid oder in Sachsen , am besten weit weg von den Trecks . Ich trau e dem Frieden hier nicht.“ Sobald der Krieg zuende wäre, sollten sich alle unverzüglich wieder auf den Weg nach Liebfelde machen. „Wollen wir hoffen“, sagte er, „dass wir dieses Jahr noch die Ernte pünktlich rauskriegen. Und beten, dass uns keiner verlorengeht. “
Von diesem Tag an zo gen sie in zwei Reihen weiter : an der Spitze Jakob und Minna, die gemeinsam den Wagen zogen, neben Frau Schilling, dahinter die drei Geschwister mit Hildchen Glück. Alma trug Ilse auf dem Bauch und spürte durch den Mantel die Wärme ihrer Tochter, von der nur die Nase und die Oberlippe zu sehen waren. S ie hätte sie auf den Karren leg en können, der nur noch leicht bepackt war, weil sie die Lebensmittel, die sie in Liebfelde mitgenommen hatten, fast aufgebraucht hatten. Aber der Wagen war zu kalt für Ilse. Sie hatte sie lieber bei sich, am Körper.
Sie kamen langsam voran – nicht nur wegen des W interw etters, sondern weil der Treck anschwoll. An guten Tagen schafften sie zwanzig Kilometer, an schlechten nicht einmal die Hälfte. Viele Pferde und Mulis verendet en , einige mitten auf der Straße, so dass sie sie erst wegzerren und in die Gräben legen mussten, wo sie festfroren. E ine Gru ppe von Frauen erschlug einen Wallach mit Knüppeln und einem Hammer , als das Tier auf einem Stoppelfeld neben der Straße lag un d schwer atmete, und schnitt ihn auf . Es stank, weil ein Messer in den Darm geriet und Kot herausquoll . Die Menschen stürzten sich auf den damp f enden Körper. Die Leber schnitten sie roh in Stücke und schlangen sie noch warm herunter. Einige, mit Blut an den Fingern, auf Lippen, Kinn und Kleidung, sahen wie Kannibalen aus. Hildchen Glück und Jakob machten sich an einem Vorderlauf zu schaffen – sie schnitt, er hielt ihr den Rücken frei –, und sie lösten schließlich das Bein aus dem Hüftgelenk. Sie brieten es an einem Spieß über einem Feuer, in einem Dorf, dessen Namen sie nicht kannten. Das Fleisch war außen verbrannt und innen roh und blutig.
„Man muss die Feste feiern, wie sie fallen“, sagte Hildchen Glück, als sie am Feuer saßen und sich wärmten. Sie zog ihren Salzstreuer aus dem Mantel und reichte ihn herum. „Köstlich“, sagte sie, „ganz köstlich. Ohne Salz wär’s nur halb so gut.“
Sie waren schon m orgen s erschöpft. Selbst Jakob, der mit langen , federnden Schritten in Kolzig losmarschiert war, wirkte matt. Am meisten Kraft schien ausgerechnet Arthur zu haben, der sich seine Müdigkeit – wenn er sie denn spürte – nicht anmerken ließ. Er hatte sich mit Jakobs Messer einen Wanderstab geschnitzt, mit dem er beim Gehen Figuren in die Luft malte. Manchmal, w enn ihm langweilig wurde, hüpfte er durch den Schnee am Straßenrand.
Sie wussten nicht, wo sie waren. Alma schlug immer wieder ihre Landkarte auf und suchte die Namen der Orte, durch die sie kamen. Aber die Karte war in so großem Maßstab gedruckt, dass nur die w ichtigsten Straßen eingezeichnet
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