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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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jetzt alle, kaum, dass wir die Kleider und uns selbst einmal waschen könn en. Womit auch? Aber wir sind so beschäftigt, dass wir es nicht einmal merken. Und wenn alle stinken, was macht es dann? Man gewö hnt sich an alles.
    Was richtet dieser Krieg nur an? Wenn ich daran denke, dass all e diese Männer Frauen und Mütter und Kinder haben – und dass Du vielleicht auch in so einem Lazarett liegst und auf mich wartest. Ich ertrage es nicht. Ich zwinge mich dann, an etwas anderes zu denken und mich um die Kleinen zu kümmern, vor allem um Arthur. Sonst würde ic h die Angst nicht aushalten.
    Ich will nicht nur klagen: Wir haben schöne Tage hier und bald werden wir die dicken, alten Mäntel wieder ausziehen, in denen wir aus dem Wartheland gekommen sind. Man kann sie eigentlich nur noch verbrennen, aber man weiß nie, was einem noch blüh t und ob man sie noch einmal zu etwas gebra uchen kann, und wir schlafen unter ihnen, nehmen sie als Decken.
    Es gibt hier viele Bäume. A n den Ästen und Zweigen haben sich überall Knospen gebildet, die aufbrechen. Die Kastanien, von denen sie hier viele haben, treiben schon Blüten au s, und ich habe die erste Biene gesehen . Es ist doch schön anzusehen: Wie der Frühling in jedem Jahr aufs Neue kommt, ob mit Krieg oder ohne. Die Natur macht einfach, was sie will . Hinter dem Gutshaus mit dem Feldlazarett, wo ich war, plätschert ein kleiner Fluss durch Wiesen, die schon wieder saftig aussehen (aber es gibt kein Vieh – keine Rinder, keine Pferde, es ist alles im Krieg geblieben). Er soll schon in die Spree münden, sagt Frau Glück, nicht mehr in die Oder , und die Spree fließt zur Elbe hin . Wir haben ein weites Stück Wegs zurückgelegt.
    Arthur fischt mit Schnur und Rute. Ich wünschte, Du könntest ihm alles zeigen, aber er ist auch so geschickt . Er hat sich rote Stofffetzen in kurze Streifen gerissen, die er auf die Haken bindet, und hat damit schon einen schönen Fisch aus dem See hier geholt. Es war ein Festessen für uns, auch wenn jeder nur ein kleines Stückchen bekam. Am Feuer gerösteter Fisch! Hildchen Glück hatte noch etwas Salz in einer ihrer Taschen, das wir zum Würzen nahmen. Gerade ist Arthur wieder losgegangen, mit seinem Husten. Vielleicht hat
     
    In diesem Moment kam der Russe.
    Arthur, der auf dem Weg zum Gutshaus war, hockte gerade hinter einem Busch und erleichterte sich . Mit den Hosen auf de n Knöcheln hörte er Knirschen und Rasseln, Panzerketten, Schüsse, die klangen wie Salven au s Maschinengewehren, trockene Peffpe ffs.
    Er zog sofort die Hosen hoch, lief los, Angelrute und Schnur mit der Hand umklammert, zum Lager nach Golchow zurück, sah aber , als er um eine Häusere cke bog, dass russische Wagen und schwere Gefechtspanzer bereits auf den Straßen vorrückten. Die Männer, die oben auf den Panzern saßen, t rugen runde Haubenhelme . Er dachte, wie komisch das aussah. Arthur lief h inter einen Baumstamm am Weges rand und machte sich klein. Niemand beachtete ihn.
    Im gleichen Augenblick zog Minna ihre Schuhe aus, stellte sich barfuß auf die Erde und schloss ihre Augen.
    „Alma“, sagte sie leise, „h ör auf zu schreiben, da kommt et was. Mir kribbeln die Füße.“
    Die Schwestern hörten die Russen nicht kommen – keine Schüsse, keine Artillerie; sie spürten sie in ihren nackten, kitzelnden Fußsohlen. Die Erde zitterte.
    Alma zog sich ihre Bluse hoch und legte sich neben Minna auf den Bauch.
    „Du hast Recht. Das ist was. Etw as Großes, Schweres .“
    Alma sah Hildchen Glück vor dem Sta ll auf ihrem Karren stehen. In der Hand hielt sie ihr Opernglas, mit dem sie die Baumgrup pen in Richtung Drebkau absuchte , wo das Herrenhaus lag.
    Irgendwo schrie ein e Frau – Alma erkannte die Stimme nicht.
    Es war der M oment, in dem Angst über sie kam und sie all es andere schlagartig vergaß . Sie erstarrte, sah auf das kleine verdreckte Stallfenster vor sich , die alten, schlaffen Spinnweben, in denen vertrocknete Insektenpanzer hingen . Es waren nur drei Worte gewesen, die sie aufgeschnappt hatte.
    „Der Russe kommt!“
    Eine ältere Frau hatte geschrien . Ihre Stimme hatte einen eigenartigen Klang – keine Warnung lag darin, kein Schmerz, nur nackte Panik, Irrsinn. Mädchen, Mutter, Alte – sie wussten alle, wie es ging, der Russe nahm alles, nahm jede – abends am Feuer, wenn die Frauen leise redeten, gab es nur ein Thema, seit sie vor achtzehn Tagen am Bober in ei nem Stromhaus geschlafen und zum ersten Mal die Kanonen der

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