Braeutigame
Krause?“
„Sehr wohl, Herr Lampe, ich… “
„Sie arbei tet“, sagte Alma. „Hör mir einmal zu. Mehr als ich arbeitet sie.“
„Nu n legen Sie mal einen Zahn zu, Krause . Sonst wird das heute nichts mehr mit unserer Kultur.“
„Jawohl, Herr Lampe. Wir sind gleich da. Zwei Minuten.“
„Fahren Sie vors Haus, wenn man rankommt zur Tür . Kommt man da ran?“
„Es gibt wieder eine Vorfahrt, ja, auch wenn innen drin noch alles ruiniert sein soll. Nur notdürftig hergerichtet. “
„Das kann man wohl sagen. Eine provisorische Bühne und die alten harten Stuhlrei hen. Wie im Kasperletheater. Ha! “
„Aha?“
„Hilft nichts. Irgendwas muss man machen, um seine Abende rumzukriegen. Drei Stunden soll e s ungefähr dauern. Mit Pause.“
„Jawohl. Ich hole Sie nach der Vorstellung ab, Rosina hat mir Anw eisung gegeben . Darf man fragen, was gespielt wird?“
„Na, Oper eben. Klassische Musik. “
„Mozart“, sagte Alma. „Die Zauberflöte.“
„Ein, äh… gelungenes Stück?“, fragte Krause.
„Oh ja, sehr.“ Alma sah in den Rückspiegel und lächelte ihn dankbar an.
Im Foyer begrüßten s ie bis zum zweiten Klingeln Bekannt e. Konrad hatte joviale Heiterkeit aufgesetzt, Alma stand einen Schritt hinter ihm, die Hände auf ihrer silbernen Tasche übereinandergelegt. Wenn er „meine Frau“ sagte, lächelte sie, streckte den Arm aus und ließ sich ihre Finger küssen.
Auf der Treppe sah sie Regina Wilson stehen und ihr zu winken. Alma winkte rasch zurück, lächelnd – sie mochte sie, ihre Heiterkeit, die Natürlichkeit. Regina trug ein fantastisches Kleid, dachte sie: rot, mit einer langen Federboa, die ihr bis auf die Fersen fiel, schweren Schmuck im Dekolleté und an den Ohren. Es mussten Rubine sein, dachte Alma. So rot.
Hedi van der Moel, lyrischer Sopran, hatte in der Stadt für einen Skandal gesorgt – nicht weil sie schlecht gesungen hätte, sondern wegen ihres Äußeren. Die Hamburger Aben dzeitung , in einem Feuilleton-Bericht von Frau Dr. Johanna Erika Kramer, hatte sie eine „alternde Wuchtbrumme“ genannt und öffentlich in Frage gestellt, ob so eine „umfangreiche Gestalt“ eine junge Prinzessin mimen könnte, Pamina , der die Ressortleiterin Feuilleton „die mutmaßliche Feingliedrigkeit des Adels“ unterstellte. „Eine drollige Besetzung“, lautete die Überschrift des Artikels. Von „plump“ war dort die Rede.
Die Leser der Zeitung waren geteilter Meinung. Es ginge um die Kunst, mahnten die einen – die Mehrheit – in Briefen, um die Schönheit des Gesangs; eine makellose Stimme sollte, bitteschön, nicht in einer unförmigen Gestalt wohnen, forderten die anderen. Frau van der Moel verteidigte sich nach mehreren Tagen würdevollen Schweigens in einem halbseitigen Interview mit Frau Doktor. Hinter den Kulissen, auch das berichtete die Zeitung, hatte sie getobt. Walter Läufert persönlich, Intendant des Hauses am Dammtor, hatte die Künstlerin in der Halle des Vier Jahreszeiten abfangen müssen. Ihr großes Gepäck war bereits auf dem Weg zum Bahnhof gewesen, der Zug fuhr über Bremen und Utrecht nach Brüssel, der Heimatstadt der van der Moel.
Es war der Einfall des Regisseurs, das Finale der Oper in völliger Dunkelheit zu beginnen. Bald prangt, den Morgen zu verkünden , sangen die drei Knaben, und dieses Prangen und Künden wurd e begleitet vom langsamen Aufgehen der Sonne, symbolisiert von apfelsinenrotem Scheinwerferlicht im rückwärt igen Teil des Bühnenhauses: Licht vertrieb die Schatten der Nacht , eine billige und zugleich effektvolle Lösung . Es war keine ganz schlechte Idee, schrieb Frau Dr. Kramer.
Aber eine unpraktische.
Alma war müde. Eine halbe Stunde noch, dachte sie, dann konnte sie nach Hause ins Bett. Sie freute sich auf ihren Kamillentee vor dem Schlafengehen. Hoffentlich würden sie nicht lange im Foyer stehen und reden müssen, weil ihr Mann kein Ende fand und noch einen Cognac nach dem anderen trinken wollte . Sie saß in der ersten Reihe neben Konrad, der hellwach zu sein schien und sich bei jedem Applaus klöternd Pfefferminzpastillen aus einer Blechdose in die Handfläche schüttete. Rechts von ihr saß ein älteres Ehepaar – eine unangenehme Situation: Sie hatte die beiden einige Male in Hamburg gesehen, war ihnen wahrscheinlich auf irgendeiner Veranstaltung vorgestellt worden, aber sie wusste die Namen nicht mehr. Eine Drogeriekette oder Parfümerie n , in der Altstadt, vermögende Leute , nicht mehr so wie
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