Braeutigame
hergeben, vielleicht.
Es half nichts. Das Leben musste weitergehen. Irgendwie musste es gehen.
Am Morgen nach dem Tod der Mutter bürsteten sich Alma und Minna gegenseitig das Haar, bis es glänzte wie am Sonntagmorgen vor der Stunde. Sie weinten beide, ohne zu sprechen.
Als sie aus der Ferne die Kirchuhr am Ring schlagen hörte, zog Alma sich ihr Klei d und die Feldschuhe über und ging in die Sommerküche. Die Sonne stand schon über dem Ho fdach, es musste acht sein, sie waren viel zu spät dran. Im Ofen glühte noch Holz, eine Handvoll Wärme. Oma Mathilde musste in der Früh e schon einmal Feuer gemacht haben. Alma legte alte Weinreben und zwei Scheite nach, schloss die Ofentür und stellte einen Wasserkessel auf die Eisenplatte. Als sie sich umdrehte, schnitt Oma Mathilde im Stehen am großen Tisch Brot , das sie gegen ihre Brust drückte . Alma, in Gedanken, hatte sie nicht kommen hören. Ihre Großmutter setzte sich, legte sich ein Handtuch mit Kartoffeln in den Schoß und begann zu schälen. Alma erinnerte sich. Sie hatten mit der Mutter Käsklieben kochen wollen. Klieben und Kartoffeln.
Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Arthur… – sie hatten doch ein neues Geschwister, einen kleinen Bruder! – …und Oma Mathilde saß in der Küche, als ob nichts wäre, als gäbe es nichts Wichtigeres als Kartoffeln.
„Wo ist Arthur, Oma?“
„Hinten. Hedwig hat ihn genommen. Geschlafen hat’s Kind, und dann hat sie i hn genommen, als er aufgew acht ist und geschrien hat. Hintendu rch ist sie mit ihm gegangen, unter die Bäume, weil er gebrüllt hat.“
„Hat er denn alles? Braucht er was?“
„Das Kind hat alles. D er Herrgott hat ihm alles mit auf den Weg gegeben. Gesund ist er, ganz gesund, obwohl er so früh ist. Alles ist dran, ein gesunder Junge .“
„Was… isst er denn?“
„Herr im Himmel, du weißt doch, wie es geht. M usst dich n icht dümmer stellen, als du bist... Ist ja noch nicht so lang e her, dass Lilli kam.“
„Da war die Mutter aber noch.“
Oma Mathilde sah sie an, sie schien verärgert zu sein.
„Stutenmilch“, sagte sie. „Boias Dressner soll uns frische Stutenmilch bringen, das ist am besten fürs Kind. Wird er schon machen, er ist ja eng mit deinem Vater . Und bis er die gebracht hat, bekommt der Junge Milch von der Kuh oder vom Schaf. Das tut’s auch. Das hat’s immer schon getan, weißt , zu allen Zeiten . Geht nun nicht anders.“
Auch die Jungen weint en . Georg verkroch sich auf die Bühne. Dort saß er vom Morgen an in einer Ecke hinter den Säcken mit Nüssen, hielt die Augen geschlossen und wurde krank. Am Abend spuckte er und hatte Schüttelfrost und Fieber, so dass Oma Mathilde ihn ins Bett leg te und ihm Kamillentee mit Honig brachte .
Jakob hielt sich den halben Tag lang mit ein er Hand an Oma Mathilde s Schürze fest, und nichts konnte ihn von ihrem Ro ckzipfel trennen, er lief nebe n ihr her wie ein neugeborenes Fohlen neben der Stute. Wie benommen wirkte er und mochte nichts essen, nicht einmal Rosinen.
Nur Lilli schien das Unglück nichts auszumachen. Sie blieb stumm, weinte nicht, saß im Hof und spielte mit Murmeln, die sie immer wiede r in den Sand fallen ließ. Am Nachmittag setzte sie sich auf einen umgedrehten E imer in der Sommerküche und sang leise. Erst beim Zubettbringen sah Alma , dass Lilli sich ins Höschen gemacht hatte. Sie hatte einfach weitergespielt, als hätte sie es nicht bemerkt, und in der Sommerluft im Hof war der Schmut z auf ihrem Hintern und an den Beinen getrocknet.
Die Mutter hatten sie mit Dr. Prudöhls Hilfe noch in der Nacht in nasse L einentücher gewickelt und mit dem Karren , den sie im Herbst für die großen Kürbisse nahmen, in den Eiskeller gebracht. Sie hätten sie längst beerdigt, am nächsten Tag, schließlich war es Mitte August, aber sie wollten – mussten – auf den Vater warten. Sie hofften nur, dass ihn auf der langen Heimreise von Kischinjew kein Unglück ereilte und er sich nicht verspätete. Es würde die Sache nicht besser machen.
Als Daniel Freier kam, machte er Alma und Minna Angst. Sie liebten ihn , aber sie fürchteten ihn auch – umso mehr, als die Mutter nicht mehr lebte , die im Alltag zwische n ihnen und dem Vater gestanden, sie abgeschirmt hatte. Mit ihr hatten sie geredet und gesungen, genäht und im Stehen an den beiden Eichenfässern gebuttert, während der Vater auf dem Feld war und schwitzte und fluchte, wenn ihm ein S tein die Hacke verbog oder das Sensenblatt stumpf
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