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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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hofften alle, die ihn gewählt hatten – eines Tages auch für das Dorf. Freier hatte ihn nicht gewählt: Er hatte es vorgezogen, am Abend der Abstimmung mit einem plötzlichen Fieber im Bett zu liegen.
    Mit dem Reichtum war indes auch die Sonderbar keit über Giese gekommen. Im Vorjahr hatte er mit seiner Frau Walburga eine Reise nach Burn as unternommen , ins neue Seebad am Schwarzen Meer, wo es mondän zuging, fast wie im Kaiserbad Heiligendamm sollte es sein, hieß es in den Zeitungen. Einfach so waren sie gefahren, zum Vergnügen, um das Meer zu sehen und weil sie das Geld hatten und es eben konnten, und das Anfang September, als die Weinlese bevorstand und die Kerpsen auf den Feldern lagen. Die Gieses waren vier Tage in einer Pension abgestiegen und hatten nichts gearbeitet, überhaupt nichts, von morgens bis abends : nichts. Sie waren auch nicht einkaufen gegangen und nicht aufs Amt. Emil Giese hatte erzählt, dass er im Meer gebadet hätte, in kurzen Hosen, und in eine Kammer hätte er sich gesetzt, in die man zum Schwitzen ging, nur zum Schwitzen , weil schwitzen den Leib befreite . Alle hatten gelacht, als sie das hörten. Als Giese von der Küste zurückkam, sagte er, dass sie seine Asche im Meer verstreuen sollten, wenn er mal tot ginge. Es stand, das war klar, nach der Burnas-Fahrt nicht besser um ihn als vorher.
    Sein Vater hieß Isidor, aber die meisten im Dorf, hätte man sie gefragt, hätten seinen Vornamen nicht gewusst. Alle kannten ihn nur als den alten Giese, immer fidel , immer auf den Beinen, auch wenn er, solange sie zurückdenken konnten, schon am Krückstock ging und humpelte. Mit ei genen Augen hatte er noch wilde Bären im Budschak geseh en, n eunzehnfünf war er gegen die Japaner nach Fernost gezogen, und er hatte im Großen Krieg gekämpft, hatte mit den Russen ins Gefecht ziehen müssen ge gen seinen eigenen Kaiser. E r war kaum heimgekehrt – zu Fuß aus Lemberg –, da war ihm die Frau an der Grippe gestorben, e infach so, von einem Tag a uf den nächsten .
    „Heute ist e s nicht gut“, sagte er in die Runde . „ Die Knie ziehen und ziepen , Jungchen, dass man sich nur hinlegen möcht e und nie mehr aufstehen.“ Isidor Giese redete in einem eigen artigen Singsang: Jeder Satz hat te eine Melodie, die hoch begann und sich bis zum Punkt langsam, stetig, unaufhaltsam senkte.
    „Hm“, machte Freier.
    „Und im Hals.“
    „Da auch?“
    „Da rasselt alles, dass es… – was soll es nun? Mach dir keine Sorgen, Freier, Unkraut vergeht nicht. Die Guten müssen immer zuerst gehen. Wie deine liebe Frau. Und meine auch. Hast ja kaum gekannt.“
    Isidor Giese ging langsam in die Sommerküche, setzte sich auf Oma Mathildes Armstuhl und legte die Hände seufzend vor sich auf den Knauf seines Gehstocks.
    „Ja, auch von mir dann mein Beileid“, sagte der Schütz, trat mit steifen Beinen drei Schritte vor und streckte Freier seine Finger entgegen. Ziegelmacher, dessen Haar zu früh grau geworden war, hatte danebengestanden, niemand hatte ihn beachtet. Das ging ihm oft so: Leipzigs Amtsbote war ein schüchterner, unscheinbarer Mann und sich seiner Sache nie ganz sicher, also überging man ihn, denn es rechnete niemand damit, dass er etwas zu sagen haben könnte. Dass er weder reiten konnte noch Land oder Vieh besaß, hob sein Ansehen nicht. Ziegelmacher stellte sich mit seiner Bimmelglocke vor die Kanzlei, wenn es Amtliches zu verkünden gab, und war gleichzeitig – er schickte seine Frau – für das Reinemachen der Amtsräume, der Schule und der Kirche zuständig. Er steckte die Briefe, die zweimal wöchentlich mit dem Zug aus Anschakrak und Kischinjew kamen, in die Postfächer, fungierte als Kirchendiener und Glockenwart und verwaltete die Leipziger Waisenkasse. Am Sonnabend verdiente er sich ein Zubrot, wenn er die Männer rasierte und ihnen die Haare schnitt, was er am Nacken und um die Ohren herum immer ein wenig zu weit trieb, so dass jeder gleich sehen konnte, wenn einer vom Schütz kam. Seit dem Frühjahr war Ziegelmacher auch für die neue Beleuchtu ng am Ring zuständig und zündete am Abend die modernen Benzinlampen an , bevor er, die ihm peinlichste Pflicht, auf dem Rückweg Pferdeäpfel au f einen Karren schaufelte. Starb einer im Dorf, hatte er einen der Särge aus Robinienholz bereitzustellen, die er an langen Winterabenden in seiner Werkstatt auf Vorrat zimmerte. Leipzigs Faktotum nannte ihn Lobgott zutreffend. Ziegelmacher, der den Ausdruck nicht kannte, sich aber keine

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