Braeutigame
am Bahnhof , dann im Oberdorf und schließlich am Ring und den Breiten Weg hinunter bis zur Käl ber Drift . An die hohen, frisch entrindeten, noch gelben Holzpfähle hingen sie das Kabel, mit dem der elektrische Strom nach Leipzig kam. „Diesen Tag, Leute, werden wir nie vergessen“, sagte Giese, als die ersten Glü hlichter in den Häusern am Ring brannten.
Auf dem dritten Anhänger des Zuges stand das Hörügel-Harmonium, das Boias Dressner im sächsischen Leipzig für seine Frau bestellt hatte. Sie brauchten vier Männer, um den Holzkasten mit dem Instrument, rundherum in Stroh gebettet , vom Zug zu holen, auf einen Kastenwagen zu heben und von dort in die Stube der Dressners zu tragen .
Boias Dressner, der Viehhändler war und bis au f einen Garte n kein Land besaß, hatte eine Wirtschaft mit mehreren Ställen. Am h interen Ende sein es Hofs lag eine Schmiede mit zwei Ambossen und einem Schlot aus Ziegelsteinen. Das Wohnhaus bildete mit den Wirtschaftsgebäuden einen auf drei Seiten begrenzten Platz, auf dem Bantamhühner scharrten , junge Zicken herumsprangen und Gänse alles anzischten, was ihren Küken zu nahe kam. Hierhin führte Dressner seine nervös tippelnden, nach Schultern und Armen beißenden Zuchthengste, wenn die Bauern ihm ihre rossigen Stuten brachten. E s hatte sich bis Romanowka, Anschakrak und Sarata herumgesprochen, dass Dressners Vollblutaraber mit ihren flachen Kruppen die prächtigsten Fohlen machten. Es ging Dressners gut, dank der Hengste.
Seiner Frau Elwira hing der Ruf an, etwas Besonderes sein zu wollen, und das Eitle , predigte Pomreinke mit hoher Stimme, wäre vom Hochmütigen nur noch „ein ganz winzig Stücklein“ entfernt, fast dasselbe wäre es im Angesicht des Herrn: eine Sünde, und deren Sold wäre, Römer sechs dreiundzwanzig, der Tod. Wenn er das sagte, kniff der Pastor die Auge n zu und zitterte mit dem K opf, als überkäme ihn Unwohlsein, als müsse er sich zwingen, niemanden anzusehen . (Obgleich er lange nach Elwira hätte suchen können, die keinen Grund hatte, in die Stunde am Ring zu kommen.) Frau Dressner sollte sich, sagten die Frauen, an manchen Tagen das Gesicht pudern, um nicht wie eine Bäuerin auszusehen. Gesehen hatten sie sie nie dabei, doch sie hatte eigenartig helle Haut – wie die der behüteten Stadt-Damen, die sie auf Bildern in den Zeitungen sahen. Es war ein verdächtig blasser Teint.
Den halben Tag beschäftigten die Dressners ein Mädchen aus dem Oberdorf. Sie war für das Haus zuständig, nicht fürs Kochen – das erledigte Elwira selbst, sie waren nur zu viert –, sondern ausschließlich für Reinemachen und Wäsche. Den V orgarten ließ die Dressner verkommen, schimpften die Bauersfrauen: keine Zwiebeln , kein Knoblauch , kein Pfeffer, kein Kraut , kein Dill, nicht einmal ein Kruschkenbaum oder ein e Himbeere – nichts, was man hätte essen oder trinken können – , und jeder, der den Breiten Weg entlangfuhr, konnte es sehen, die jüdische Dressner mit ihrem Pferdemacher schämte sich nicht einmal dafür. Es wäre eine Verschwendung, sagten sie, in Elwira Dressners Garten wuchsen nur , ha!, Blumen: Rosen und Stockrosen, Tulpen vom Türken, Gerani en, Rittersporn, unnützes Zeugs , die gute Erde verkam, Perlen und Säue , und in der Stube hatte sie einen Efeu in einem Messingtopf, der am Schrank herabhing wie ein Gedärme aus Smaragd.
Die Geige sollte sie dafür spielen , sagte man, die einzige im Dorf, wenn man einmal von Opa Gieses jaulender F idel absah. Es hieß, die Frau könnte nicht einmal häkeln, und an ihren heiligen Tagen sollte sie Reis kochen, den teuren, weißen Reis aus dem Donaudelta, den der König in Bukarest aß . Oh, oh, was würde aus der Welt werden, wenn alle es so machen würden? Man hätte schöne Musik und würde verhungern, weil der Reis nicht für alle reichte.
Lea, ein stilles Mädchen, hatte von ihr er Mutter Notenlesen und vom Vater Schach gelernt. Als seine Tochter acht Jahre alt geworden war, hatte Boias Dressner sie in der Küche auf einen Hocke r gesetzt und ihr die aus Ho lz geschnitzten Figuren erklärt. Von diesem T ag an hatte Lea sich ins Dachgeschoss des Hauses zurückgezogen und gegen sich selbst gespielt . Hier standen Vorräte, Schränke mit Büchern und ein altes, mit R osshaar gepolstertes Sofa, auf dem Lea über Schachzüge nachdachte, bis das Hörügel-Instrument ins Haus kam und gespielt werden sollte .
Dressner und die Männer trugen die Holzkiste mit dem Harmonium in die Stube
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