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Braeutigame

Braeutigame

Titel: Braeutigame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Braun
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lagen als deren leere Köpfe. Eine Schande war es, wenn man es richtig betrachtete.
    Was nichts daran änderte, dass mi t den ersten warmen Tagen im März mehr und mehr Stühle in den vier Klassenzimm ern des Schulhauses am Ring leer blieben. Die B auern, ihre Knechte, Mägde und Tagelöhner und alle, die auf den Höfen entbehrlich waren, begannen im Frühling, die Felder zu pflügen, zu eggen, die Getreidesaat auszubringen. Die Söhne und Töchter, die alt genug waren, nahmen sie mit, anstatt sie zum Lernen in die Schule zu sch icken, und mit jeder weiteren Frühlingswoche zählte Lobgott weniger Köpfe im Klassenzimmer. Der Sohn vom reichen Trautmann – ja, der würde als einziger ganz sicher bis zum Ende des Schuljahr e s im Juni kommen. Dem lag das Lernen , und das Arbeiten mit den bloßen Händen lag ihm überhaupt nicht, der war ungeschickt, ein Tol l patsch, in der Mühle seines Vaters genauso wie auf dem Feld, und steckte seinen Kopf lieber in Bücher und hatte deswegen schon eine teure Brille auf der Nase und fragte Sachen, da konnte man gar nicht… – schwierige Sachen, ein überneugieriges Kind, das einem keine Freude bereitete.
    Die meisten Jungen blieben jedoch weg, bevor Lobgott seine Lehrarbeit vollendet hatte, und gingen auf die Felder oder zu den Ziegen und Karakuls, die i n den Wochen vor Ostern Nachwuchs bekamen. Anfang April gebaren in manchen Nächten mehr als einhundert Tiere gleichzeitig , und sie hatten mit den Lämmern alle Hände voll zu tun. Die Burschen bewacht en sie auf den Weiden, saßen an Lagerfeu ern und liefen mit Fackeln und Rasseln herum, um Krähen abzuhalten, die den Neugeborenen die Augen auspickten , bevor sie stehen und der Mutter folgen konnten. Den Weibchen hackten die Jungen nach der Geburt die Schwänze ab, damit sie später, wenn sie trächtig wurden, von hinten gemolken werden konnten.
    Wenn die Sonne Ende Mai zum ersten Mal ihre Kraft spüren ließ und das Getreide von Tag zu Tag einen Fingerbreit höher stand, kamen nur noch Mädchen , Trautmanns altkluger Sohn und die sieben oder acht Jahre alten Knirpse zu Lobgott in den Religionsunterricht. Fräulein Popesch mochte kaum merken, dass die Farbe der Felder auf den Hügeln vor den Schulfenstern langsam vom Grün des Frühlings ins helle Gold des Sommers wechselte . Die hatte mit den Mädchen alle Hände voll zu tun, und wahrscheinlich popelte sie dabei in der Nase und plapperte. B ei ihm aber, Hellmut Lobgott, blieben die Stühle unbesetzt. Die Jungen hatten anderes im Sinn als Glaubensbeke nntnis und Katechismus .
    Nein, schön war das nicht, und obendrein schwächte es in der jungen Generation den rechten Glauben. Aber so war der Lauf der Dinge in Gottes großem Plan. Es lohnte nicht, sich über das, was nicht zu ändern war, allzu viele Gedanken zu machen.
     
    Am frühen Abend des 15. Juni 1935 traf Georg Freier zu Fuß an der Kälbe r Drift ein. Es war ein heißer, windstiller Sommertag, an dem die Schwalben hoch über den Dä chern des Dorfes Insekten jagten . In den Lehmnestern, die sie in den Winkeln des Schardachs gebaut hatten, schrien ihre Jungen.
    Georg trug die dunkelblaue Schuluniform des Anschakrak er Knabengymnasiums, eine Schirmmütze und ein rotweiß kariertes Kattuntuch u m den Hals. Er grinste glücklich , als er seinen Ranzen auf den Lehmboden der Sommerküche fallen ließ und beim Abend essen von der Kreishauptstadt erzählte. Geschichten sprudelten aus ihm heraus, während er Ölkuchen in Stücke riss, sie in die Soße auf seinem Teller tunkte und hinunterschlang wie ein Wolf: die neuen Kameraden in Anschakrak; die piekfeinen Städter in Sarata; das erste G efrorene, das er gegessen hatte; Wasser mit kitzelnden P erlen darin, die in die Nase st iegen und einen rülpsen machten; Knetgummi; wie sie sich zu Ostern betrunken gestellt hatten und durch Anschakrak gelaufen waren und ein Büttel sie a uf dem Fahrrad verfolgt hatte; d ass e r nicht mehr mit links schrieb; d ass er lateinische Sätze auswendig konnte wie Lobgott und Dr. Prudöhl. Georg war gewachsen.
    Vor allem freute er sich auf den nächsten Mor gen, an dem er mit Mischka und sein em Vater a uf die Popschafelder fahren und den kleinen Reiter machen würde . Eigentlich war er mit elf zu alt dafür. Es war eine Arbeit für die jüngsten Kinder, die auf den Feldern zu wenig zu gebrauchen waren und schnell müde wurden, wenn sie mit Werkzeug hantieren mussten. Jakob wäre in diesem Jahr an der Reihe gewesen, a ber es gab für Georg noch

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