Braeutigame
Wladi der Schlächter
Wohin sie blic kte, war es weiß: S chwer er, feuchter Schnee bedeckte den Hof. Er knirschte dumpf , als Alma unter de m Schardach hervortrat, schluckte ihre Winterschuhe bis hoch an die Wollstrümpfe, ihre dicksten . In den windgeschü tzten Ecken zwischen den Mais körben, dem Nuschnik und den Ställen lag er knie hoch. Er deckte d en Breiten Weg hinter dem Tor zu , auf dem früh am Morgen noch keine Pferde oder Schlitten Spuren hinterlassen hatten . Die N achbarn tranken ihren Tee in den Küchen, oder sie standen erst auf . Es war Dezemb er: kurze Tage, lange Nächte.
Die Sonne würde erst in zwei Stunden aufgeh en. Alma wusste nicht, woher der Schnee um diese Zeit sein Licht nahm, aber er schien se lbst in der Dunkelheit matt zu leuchten, mit blau em Schimmer, vielleicht war es der Mond , dachte sie. Die Wolken, die den Schnee gebracht hatten, waren weitergezogen. Der Himmel war klar, es würde ein sonniger , kalter Tag werden, an dem sich gut schlachten ließ. Die Mond sichel stand über den kahlen Ästen des Flieders. Sie ging einige Schritte in den Hof, griff mit den Händen in den Schnee, formte einen Ball, zielte und warf ihn gegen die Wand eines Popschakorbs, an der er klatschend kleben blieb.
Sie schaltete das elektrische Licht in der Sommerküche an, das nackt an einem Kabel über dem Tisch h ing. Sie freute sich an der gleichmäßigen Helligkeit : Im Herbst war an der Kälber Drift der Strom von Straßenmasten in die Häuser gelegt worden. Alfred Ziegelmacher hatte einen Ingenieur aus Anschakrak und dessen Lehrling zu ihnen ins Haus geschickt, die das Kabel über die vordere Gartenmauer zum Windfang spannte n . Von dort verlief es , von Krampen gehalten, unter dem Boden durch die Diele, die beiden Kinderzimmer und das Altenteil bis in die Sommerküche. Der Schütz hatte sich persönlich davon überzeu gt, dass alles funktionierte . Er hatte aus der Primaria sogar Glüh lichter mitgebracht, aus Gefälligkeit .
Eine Schneewehe reichte wie eine leckende Zunge vom Hof bis an die Rückwand des Herds. Alma fröstelte. Sie steckte ihre Hände in die Ärmel ihrer Strickjacke und rieb Finger und Unterarme gegeneinander. Dann legte sie Dornenbündel, Mais zapfen und Weinreben in den Ofen, zündete ein Scheit mit einem Schwefelholz an und brachte das trockene Gestrüpp mit Pusten zum Lodern, bis die Flammen an Kraft gewannen und nicht mehr ausgehen würden. Ihre Fingerspitzen waren rosa und klamm . Alma hockte vor dem Ofen und wärmte ihre Hände an den jungen, suchenden Flammen, die nach und nach knisternd die Dornen erfassten : ein neuer Morgen. Rosie stieß mit der Nase die Tür des Altenteils auf und kam schwanzwedelnd, den Kopf gesenkt, noch müde, zu ihr. Alma streichelte sie. Nebenan, in Oma Mathilde s Zim mer, hörte sie Klappern. Ein Holzscheit sang für einen Moment im Feuer , bevor an seiner ganzen Länge gleichzeitig Flammen ausbrachen. Es klang wie ein Seufzen, als würde sich der Eisenofen in der ungewohnt frühen Stunde beschweren.
Sie klappte die Ofentür zu und streifte wollene Arbeitshandschuhe über, die ihre Fingerspitzen f reiließen. Es würde ein Frostt ag werden, obwohl sie nach dem Bauernkalender des Landmann-Vereins, den der Vater wegen der illustrierten Schweinerassen aus aller Welt in die Hofküche gehängt hatte, noch Herbst hatten. Der zwei te Advent lag hinter ihnen . Die Rasse, die das Kalenderblatt für Dezember 1938 zeigte, war der Mohrenkopf – das Schwäbisch-Hä llische Landschwein, vorn und hin ten schwarz, in der Mitte rosa .
„Puh, was nun auch…“, murmelte Oma Mathilde . Sie schlurfte in Wollpantoffeln aus dem Altenteil in die Sommerküche und zog sich eine Schaffellweste über ihr schwarzes Kleid. „Erst fallen die Blätter im August von den Bäumen, und dann kriecht die Kälte schon zu Christi Advent ins Land. Das soll einer verstehen… Hast du Feuer gemacht…? Ja, hast wohl. Gut, Kindlein.“
„Das Jahr ist ganz und gar durcheinander, sagt Lobgott. Weißt du noch, wie e s im Sommer geregnet hat, den ganzen Julei durch? Und als im Frühling die vielen Maikäfer aus dem Boden gekrochen kamen und durch die Luft flogen, alle auf einmal, als hätten sie eine Trompete gehört? Die Engerlinge waren mir gar nicht aufgefallen im letzten Jahr. Haben sich wohl…“
Oma Mathilde schüttelte den Kopf. „Gottes Wille geschehe“, sagte sie, „immerdar, ja immerdar…“ Sie nahm einen Blecheimer, um am Hof brunnen Wasser zu holen. „Wenn
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