Braeutigame
und Bauch mit den Fingerspitzen abzupften (was weniger Kraft, aber mehr Geschicklichkeit erforderte). Hedwig ö ffnete immer wieder die gusseiserne P latte des Ofens und heizte die Holzglut für das Sengen an, das sie zusammen mit Oma Mathilde übernahm. Lilli und Jakob krochen auf Knien durch die Küche und sammelten die Federn und Daunen ein, die beim Rupfen auf den Boden fielen.
„Emil will im nächsten Frühjahr Kattun anbauen“, sagte Walburga Giese und grub ihre Fingernägel in die Brustdaunen einer Ente. „ Hat er gesagt. So Gott will.“ Sie hatte Blutspritzer auf den Wangen, die sie, ohne es zu merken, mit dem Handrücken verwischt hatte. Die Frauen sahen einander nicht an, sondern konzentrierten sich auf die Vögel in ihren Händen, was den roten Faden ihrer Unterhaltung ab und zu durchtrennte.
„Mehr als achtzig Tiere hat der Zug aus Ak k e rman überfahren“, sagte Gretel Giese. „W ie hätt e der Schäfer auch wissen sollen, dass ein Zug kommt, wenn sie sich an keine Zeit halten und einfac h fahren, wann ihnen danach ist? “
„Kannst es dir ausrechnen in Ban und Leu, was für ein Schaden das war“, sagte Irma Schilling. Achtzig Tiere tot, und die konnt e man nicht mehr retten, so zerstückelt wie die waren, und dann noch die verletzten, dreißig oder vie rzig sollen es gewesen sein, denen fehlte oft ein Bein oder was anderes . Aber die konnten sie wenigsten s noch schlachten und essen. Nein, ein Leid ist das gewesen mit den Schafen auf dem Gleis.“
„Lieber nur den Schaden als den Spott noch dazu“, sagte Hedwig unvermittelt. Oma Mathilde , in Gedanken, begann zu singen.
„Wo ist der nächste Vogel!?“, rief Frau Giese. „Her damit – sonst frieren mir die Finger ein! Mischka, bringst du mir die nächste Gans? Die graue da hinten, die steht so ruhig, als ob sie kein Wässerchen trüben könnt e . Mach der mal schnell den Hals durch, tust mir die Liebe? – O, der liebe Junge bringt uns eingelegte Harbusen raus... Die kommen gerade recht, ich danke dir. “
„Meine Lea hält sich vom Schlachten fern“, sagte Elwira Dressner. „Das ist nichts für sie.“
„Das würde ich meinen“, sagte Walburg a Giese. „So vergeistigt wie dein Kind ge worden ist. Geht nicht schwimmen, geht nicht schlachten, geht nicht zum Klak. Nur übers Land spazieren und lesen und Schach spielen tut e s , hört man .“
„Und reiten. Fast besser als sein Vater “, sagte Frau Dressner. „Wir haben eine neue Katze, rot wie Feuer. Die hat das Mädchen gleich ins Herz geschlossen. Mimi – die fängt ihr Mäuse und legt sie ihr aufs Kopfkissen.“
„Das muss eine Liebe sein...“, sagte Gretel.
„Öst erreich ist auch ins Reich gekommen“, sagte Irma Schilling. „Überrascht hat das keinen , hat meine Base geschrieben – die an den schönen Rhein gezogen ist, die. Wer wollte nicht zum Reich gehören, wenn es ihnen da so gut geht? Aber wo das enden soll, wenn alle deutsch sein wollen…? Ist doch wahrlich nicht Platz genug für alle. Als nächstes wollen die Ungarn dazu, und dann noch di e Rumänen, und dann kommen gleich die Zigeuner und klauen alles weg. Was dieser Präsident von denen sich wohl dabei denkt?“
„ Herr Hitler?“
„Der, ja, so heißt er. Mit dem Schnurrbart der. Ein schmucker Mann.“
„Der ist nicht nur Präsident“, sagte Elwira Dressner.
„Nicht ? Was soll er denn noch sein?“
„Reichskanzler ist er. Führer.“
„Das ist doch gerad e dasselbe. Das Sagen hat er ja wohl im ganzen Reich.“
„Mmh. Das hat er, das Sagen. Der und seine Nazis. Und was dabei rauskommt, wenn der was sagt…“
„Hast du ihn mal reden gehört? Bei Lobgott war er neulich im Wellenempfänger – herrlich, eine Stimme ! , sage ich euch. Richtig ergriffen war ich und Lobgott noch viel mehr, der saß nur da , und dann stand er auf und lief rum und starrte gebannt vor s ich hin. Richtig ehrfürchtig ist er geworde n, als er den Hitler reden hörte .“
„Geh mir ab.“
„Wenn ich’s doch sage!? Unser Küsterlehrer ist wie verzaubert von den National -Jungmannen. H err Hitler räumt endlich auf, sagt er. Es soll gar keine Armut mehr im Reich geben, nicht so wie hier bei den Großrumänen mit ihren großen Sprüchen und nichts dahinter. Und die Arbeitslosen – wisst ihr , wie das vor den Jahren war…? Fünf oder sechs Millionen hatten sie im Reich, die Leut e wussten nicht, wo sie ihr Essen herkriegen sollten, und bezahlen konnten sie’s schon gar nicht . Erst war das Geld nichts
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