Bragg 04 - Dunkles Verlangen
jetzt offiziell Nicoles Kinderfrau war.
»Zieh Nicole bitte an. Wir fahren heute in den Park«, sagte er und stand auf.
Schließlich sah er Jane an und nickte knapp.
»Ach, du willst mit Nicole in den Park fahren?«, brachte sie – durch seine Ausflugspläne wie durch seine physische Nähe gleichermaßen verwirrt – endlich heraus. Er stand ein paar Schritte von ihr entfernt, und sie war ungemein beeindruckt von seinen muskulösen Oberschenkeln, die in seiner eng anliegenden Reithose prächtig zur Geltung kamen.
»Ich nehme an, du hast nichts dagegen?«
»Natürlich nicht«, sagte Jane, plötzlich ganz versonnen. Sie hatte sich nämlich gerade vorgestellt, wie herrlich es sein könnte, an diesem schönen Morgen zusammen mit Nicole und dem Earl in der offenen Kutsche auszufahren. Wie gerne wäre sie mitgefahren. Doch sie wartete vergebens auf eine Einladung. Der Earl nickte abermals und ging dann aus dem Raum.
Plötzlich hatte Jane – wie eigentlich den ganzen Morgen schon – überhaupt keinen Appetit mehr. Molly hatte Nicole mitgenommen, um ihr etwas Wärmeres anzuziehen, da der Morgen kühl war. Und so saß Jane jetzt allein in dem riesigen Esszimmer. Ob sie ihn bitten sollte, sie mitzunehmen? Eine Spazierfahrt im Park erschien ihr plötzlich wie das Schönste auf der Welt. Auch Chad würde seinen Unterricht gewiss gerne eine Weile unterbrechen. Ihr Herz fing an, schneller zu schlagen, doch dann hatte sie nicht den Mut, sich von ihrem Stuhl zu erheben.
Zehn Minuten später hörte sie, wie die Kutsche abfuhr, und sie biss sich auf die Unterlippe und hätte am liebsten geweint.
Was war nur mit ihr los?
Möglich, dass der Earl als Mann ein Schuft war, aber eines war er auch: ein exzellenter Vater. Aber das war ja nichts Neues. Warum also war sie so betrübt darüber, dass er mit seiner kleinen Tochter in den Park gefahren war? Wieso berührte sie das so sehr? Weil es so ganz und gar. ungewöhnlich war: Kein anderer Aristokrat wäre im Traum auf die Idee gekommen, mit seiner kleinen Tochter in einer Kutsche durch den Park zu fahren. Der durchschnittliche Adelige hätte das für viel zu unelegant, viel zu bieder gehalten. Und genau das rührte sie. Und obwohl sie seine Frau, die Mutter seines Kindes war, wollte er sie auf seinem kleinen Ausflug nicht dabeihaben.
Und dann hatte sie wieder Schuldgefühle, weil sie ihm seine Tochter so lange vorenthalten hatte.
»Mylady«, sagte Thomas, der in der Tür stand, »draußen wartet ein Besucher.«
Jane sah ihn fragend an und stand auf.
»Es handelt sich um den Earl von Raversford«, sagte Thomas mit einem Anflug der Missbilligung.
»Hast du ihm gesagt, dass Seine Lordschaft gerade weggefahren ist?«
»Ja. Aber er möchte Euch besuchen. Ich habe ihn in das Damenzimmer geführt.«
Jane wies Thomas an, Tee und Gebäck zu bringen, und begab sich in das Damenzimmer. Sie war gleichzeitig beunruhigt und froh darüber, dass Lindley ihr einen Besuch abstattete. Sie hatte ihn privat nicht mehr gesehen, seit der Earl sie dazu verdonnert hatte, ihn zu heiraten. Sie wusste natürlich, dass er kurz nach ihr selbst von der geplanten Heirat erfahren haben musste und sich deshalb nicht mehr hatte blicken lassen. Aber was führte ihn an diesem Morgen zu ihr?
Lindley stand am Fenster und blickte auf die Rasenflächen und die Blumenbeete hinaus. Er drehte sich um, als er sie kommen hörte. Bei ihrem Anblick leuchteten seine Augen auf. Auch Jane war froh, ihn zu sehen, und sah ihn lächelnd an.
»Jon, ich bin ja so froh, dass du gekommen bist.«
Er kam zu ihr, nahm ihre beiden Hände und blickte sie herzlich und prüfend an. »Das hört man gerne. Wie geht es dir, Jane?«
Sie bedeutete ihm, Platz zu nehmen, und setzte sich dann ebenfalls. »Soso …«, sagte sie und wich seinem Blick aus.
Lindley legte zwei Finger unter ihr Kinn und hob es ein wenig an, um ihr ins Gesicht zu schauen. »Du siehst müde aus – als hättest du kein Auge zugetan«, sagte er leise. Seine Fingerspitzen ruhten noch immer unter ihrem Kinn.
Jane errötete. Sie hätte ihm nur zu gerne ihr Herz ausgeschüttet, tat es aber nicht. Sie durfte nicht mit anderen hinter dem Rücken ihres Ehemanns über ihre Probleme sprechen, auch wenn sie sich nach dem Zuspruch eines Freundes sehnte. »Ich habe schlecht geträumt.«
Thomas kam mit dem silbernen Butlertisch und den Erfrischungen herein und blickte streng zu den beiden hinüber. Lindley legte seine Hand vor sich auf den Schoß, und Jane richtete sich im
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