Bragg 04 - Dunkles Verlangen
über den ungeheuren Schmerz, der ihn erfüllte. Doch dann tröstete er sich mit dem Gedanken, dass sie ja lediglich in die Gloucester Street zurückkehrte. Und hatte sie nicht gesagt, dass es eine nahe liegende Lösung gab? Wer blieb der verdammte Anwalt nur?
Nick folgte Jane nach draußen. Sie stieg gerade in die Kutsche, in der Molly bereits mit Nicole auf sie wartete. Er umfasste sie von hinten, drehte sie zu sich und küsste sie mit sanfter Leidenschaft. Sie reagierte nicht, ließ es nur geschehen. »Ich komme morgen vorbei«, versprach er.
Wieder rollten dicke Tränen aus ihren Augen. »Wiedersehen, Nicholas.«
»Schon morgen, Jane«, sagte er bestimmt und sah dann zu, wie die Kutsche die Auffahrt hinunter und durch das schmiedeeiserne Tor auf den Tavistock Square hinausrollte.
Nicks Anwalt Henry Felding war ein groß gewachsener dünner und etwas nervöser Mann. Und noch wichtiger: Er war hochkompetent. Er traf eine Viertelstunde später ein. »Wo bleibt Ihr denn so lange?«, knurrte Nick.
»Tut mir leid, Euer Lordschaft, aber der Verkehr ist um diese, Stunde einfach grausam. Wie geht es Eurer Frau?«, fragte Felding höflich.
»Meine verfluchte Frau ist von den Toten auferstanden.«
Felding war sichtlich schockiert.
»Meine erste Frau«, sagte Nick mit zusammengebissenen Zähnen, »Patricia Weston Shelton ist am Leben und hält sich in London auf.«
Felding ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Oh weh«, sagte er. »›Oli weh‹ ist genau der richtige Ausdruck.« Der Earl zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und stützte sich mit den Händen auf die Knie. »Bin ich eigentlich juristisch gesehen noch mit ihr verheiratet? Sie ist vor sechs Jahren verschwunden. Alle Welt hat sie für tot gehalten, wie Ihr ja nur zu gut wisst.«
Felding betupfte sein Gesicht mit einem Taschentuch. »ja, an den Rummel kann ich mich allerdings noch sehr gut erinnern. Und ja, sie ist vor dem Gesetz und in den Augen der Kirche weiterhin Eure rechtmäßige Frau.«
Nick stieß einen wüsten Fluch aus. Felding errötete.
»Und könnt Ihr mir vielleicht sagen, was dann mit Jane ist?«
»Ich fürchte, dass Jane überhaupt keinen Status hat, ich meine, rein juristisch gesehen.«
»Ich möchte die Scheidung.«
»Eine Annullierung käme natürlich in Frage«, sagte Felding und blühte auf. »Da Lady Patricia noch am Leben ist, wird die Kirche Eure Ehe mit Jane gewiss ohne Weiteres auflösen.«
»Nein. Ich möchte mich von der treulosen, egozentrischen, durch und durch bösartigen Patricia scheiden lassen. Veranlasst unverzüglich die nötigen Schritte.«
Felding schnappte nach Luft. Dass jemand sich scheiden ließ, kam in England nur sehr selten vor und war erst recht in der Oberschicht so gut wie unbekannt – das allerletzte Mittel sozusagen. Schlimmer noch, eine Scheidung galt als unmoralisch und skandalös. »Seid Ihr sicher?«
»Ganz sicher. Wie lange dauert die Prozedur?«
»Für gewöhnlich gibt es eine gewisse Wartezeit, etwa ein Jahr.« – »Verdammt.«
»Aber«, Felding war wieder in seinem Element, »in dem vorliegenden Fall müsste es eigentlich möglich sein, die Dinge ein wenig zu beschleunigen. Schließlich hat Eure Frau Euch nicht nur verlassen, sondern galt überdies sechs Jahre als tot. Hinzu kommt, dass Ihr wieder geheiratet habt und es aus der zweiten Verbindung Nachwuchs gibt.«
»Gut«, sagte der Earl erleichtert. »Sehr gut.«
Der Earl ging zu seinem Schreibtisch und kehrte mit zwei Kuverts zurück. »Das hier ist für Euch – eine Vorausprämie für Eure Bemühungen«, sagte er.
Felding errötete wieder. »Danke, Euer Lordschaft, aber das ist wirklich nicht nötig …«
»Und das hier ist für Personen bestimmt, die uns in dieser Sache womöglich von Nutzen sein können. Ich möchte die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich bringen«, sagte er und reichte dem Anwalt einen zweiten Umschlag. Beide waren mit Tausenden von Pfund vollgestopft.
»Das wird die Dinge gewiss beschleunigen«, sagte Henry Felding.
Es war kurz nach elf, als die Kutsche mit dem stolzen Wappen des Hauses Dragmore vor dem Haupteingang des Herrenhauses von Clarendon anhielt.
Das Anwesen lag in Kent, mit der Kutsche rund fünf Stunden von London entfernt. Ein Großteil des fünftausend Hektar großen Besitzes war an Pächter vergeben, weil die dort lebenden Herzöge es nicht verstanden hatten, das Land selbst zu bewirtschaften. Das Herrenhaus war zur Zeit Heinrichs VII. im Tudorstil erbaut worden. Unter
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