Bragg 04 - Dunkles Verlangen
dann hat er mich geheiratet. Aber nicht aus Liebe, sondern weil er erfahren hat, dass es Nicole gibt. Trotzdem liebe ich ihn sehr. Als dann plötzlich wieder seine erste Frau auf der Bildfläche erschienen ist, war ich am Boden zerstört. Er wollte nämlich, dass ich seine Mätresse werde. Aber da ich vorher schon seine Frau gewesen war … Also bin ich weggelaufen.« Jane fing an zu weinen. Sie versuchte vergeblich, sich zusammenzunehmen.
Grace stand auf und nahm sie in die Arme. »Manchmal sind die Männer sehr unsensibel«, sagte sie. »Komm schon, Jane, öffne dich mir«, sagte sie. Sie hatte sich inzwischen wieder gesammelt. »Wenn du mir alles erzählst, geht es dir hinterher viel besser. Du kannst mir vertrauen.«
Jane sah Grace an. »Als wir uns kennen gelernt haben, war ich erst siebzehn«, sagte sie dann mit wackeliger Stimme. »Und ich habe mich im ersten Augenblick in ihn verliebt. Er war so ein großer dunkler Typ, so kraftvoll, fast ein wenig bedrohlich. Und seine Augen waren kalt wie Silber – und gleichzeitig so voll Leidenschaft.« Sie hielt inne, dachte an die Zeit in dem verstaubten Salon in Dragmore zurück. Dann beschloss sie, alles zu erzählen. An England kennt man ihn unter dem Namen ›Herr der Finsternis‹ …«
Kapitel 53
Rathe Bragg saß in dem Schlafzimmer, das er mit Grace teilte, auf dem Rand des geräumigen Himmelbettes. Die Wände waren mit Seide bespannt. Er hatte das Hemd bereits ausgezogen. Sein mit Muskeln bepackter Oberkörper glänzte im sanften Schimmer des Gaslichts, das der Kandelaber über ihnen abgab. Auf seinem Gesicht lag ein erstaunter, ja ungläubiger Ausdruck. »Nicks Mätresse. Grace. Dann ist Nicole ja meine Nichte.«
Grace trug ein hauchdünnes Negligee und wanderte unruhig in dem Raum umher. Dieses Negligee war nur eine der zahlreichen intime Gaben, mit denen ihr Ehemann sie ständig überraschte. Ihr üppiges rotes Haar fiel ihr bis auf die Hüften herab. »Arme Jane«, sagte sie. »Glaubst du wirklich, dass dein Bruder sie nach Patricias Rückkehr gebeten hat, seine Mätresse zu werden?«
Rathe verzog das Gesicht. »Denkbar. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Nick Jane schon wegen Nicole regelmäßig sehen möchte. Merkwürdig.«
Grace setzte sich neben ihn auf die Bettkante. »Und was machen wir nun?«
Normalerweise widersetzte sich Rathe den Planspielen seiner Frau, da sie in ihren Aktivitäten häufig kaum zu bremsen war, wenn sie sich erst einmal auf etwas eingelassen hatte. Andererseits musste unter den vorliegenden Umständen natürlich etwas geschehen. »Dann ist sie also von Nick schwanger«, sagte er nachdenklich, »und sie liebt ihn.«
»Ich habe ihr nicht gesagt, dass er auf dem Weg nach Amerika ist«, sagte Grace. »Sollen wir ihr das sagen?«
»Ob er Patricia mitbringt?«, fragte Rathe und sah sie von der Seite an. »In dem Telegramm hat er davon jedenfalls nichts erwähnt. Aber wir werden es ohnehin bald wissen. Er müsste eigentlich täglich hier eintreffen.«
Grace erhob sich abrupt und ging wieder wie eine ruhelose Tigerin im Zimmer umher. »Rathe, ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich Jane verschwiegen habe, dass Nick kommt. Das arme Mädchen hat ohnehin schon so viel gelitten.«
Rathe stand auf, ging zu Grace, nahm sie in die Arme und zog sie an seine Brust. Dann küsste er ihren Hals. »Liebling, wenn sie weiß, dass er kommt, läuft sie doch sofort wieder weg. Lassen wir doch einfach der Natur ihren Lauf. Die beiden müssen die Dinge zwischen sich so oder so klären. Janes Flucht hat diese Entscheidung doch nur aufgeschoben. Vielleicht will sie ja sogar, dass Nick sie verfolgt. Und Nick hat das Recht zu erfahren, dass er Vater wird.«
»Und wenn sie nun Lindley heiratet?“, fragte Grace und sah ihm ins Gesicht.
»Das ist ihr gutes Recht«, entgegnete Rathe. »Nick ist schließlich verheiratet.« Er verzog das Gesicht und fing an zu schimpfen. »Oh Gott, ich kann einfach nicht glauben, dass dieses widerliche Weibsstück noch am Leben ist. Zu schade.«
»Rathe.«
»Die Frau hat meinen Bruder so unglücklich gemacht, das weißt du doch«, sagte Rathe aufgebracht. »ja, fast hätte sie ihn zerstört. Stell dir vor, das Gericht hätte ihn für schuldig befunden!« Dann sah er seine Frau aufmerksam an. »Ich glaube nicht, dass das alles ein Zufall ist, Grace – du etwa?«
Sie musterte ihn ebenfalls. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Kaum ist Jane hier, taucht Nick plötzlich auf, obwohl er sich in
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