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Bragg 04 - Dunkles Verlangen

Bragg 04 - Dunkles Verlangen

Titel: Bragg 04 - Dunkles Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
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reglos in seiner halb aufgerichteten Position. Eine schier unerträgliche Spannung lag in der Luft. Dann ließ er sich vernehmbar wieder auf den Stuhl fallen. Er spielte mit seinem Weinglas herum und beobachtete sie.
    Hätte er jetzt auch noch die Dreistigkeit besessen, sie ihr Essen alleine beenden zu lassen, hätte Jane wahrscheinlich endgültig ihren Glauben an die Menschheit verloren. Doch allmählich begriff sie, dass er gar nicht unhöflich sein wollte, sondern die üblichen Umgangsformen entweder nie erlernt oder so lange nicht mehr praktiziert hatte, dass er ganz aus der Übung gekommen war. Daher hatte sie das Gefühl, wieder einen kleinen Sieg errungen zu haben. Sie sah ihn lächelnd an. »Wenn Sie möchten, können Sie ruhig aufstehen.«
    »Das will ich meinen.« Er lehnte sich bequem zurück. »Ich mache ohnehin, was ich will.«
    Sie fand, dass sie genug gegessen hatte, und legte ihr Besteck sorgfältig nebeneinander. Seine Esswerkzeuge hingegen lagen weit geöffnet mitten auf dem Teller, als ob er noch gar nicht fertig gegessen hätte. Seine Augen wurden schmal »Eins muss man dir lassen: tadellose Manieren hast du.
    Jane sah ihn an. »Meine Mutter war eine Dame.«
    Er würdigte sie keiner Antwort, doch sie spürte, dass er dieser Auskunft nicht recht traute. »Fertig?«
    Sie nickte. Er sprang auf und ging mit großen Schritten aus dem Raum.
    Jane sackte erschöpft auf ihrem Stuhl zusammen. Sie zitterte am ganzen Leib und wusste nicht recht, ob sie froh oder beleidigt sein sollte. Der Earl war nicht nur schwierig, der Mann konnte einem wirklich Angst machen. Aber … völlig hoffnungslos war er offenbar nicht.
     
    Die riesige Eingangshalle des Herrenhauses war mehrere Stockwerke hoch. Man hätte leicht das halbe Pfarrhaus darin unterbringen können. Jane blickte zufrieden in dem Raum umher. Der schwarzweiße Marmorboden war spiegelblank. Auf dem hellbraunen Steintisch war kein Staubkorn mehr zu sehen. Auch der schwere Spiegel war auf Hochglanz gebracht. Die reich verzierten Tudor-Stühle und die übrigen -meist im Regency-Stil gehaltenen – Möbel, die an den Außenwänden des Foyers aufgestellt waren, erstrahlten ebenfalls in neuem Glanz. Jane beobachtete, wie zwei Bedienstete auf Höhe des zweiten Stocks die Fenster putzten. Die Leute standen auf Leitern und bearbeiteten die Scheiben eifrig mit Seifenwasser.
    Draußen schlugen die Hunde an. Jane trat an die geöffneten Vorhänge und sah, dass gerade eine Mietkutsche vorfuhr. Offenbar Besuch für den Earl. Sie lächelte: Tatsächlich hätte der Zeitpunkt kaum günstiger gewählt sein können. Zumindest die Halle war wieder vorzeigbar. Sie drehte sich um, wollte Thomas auf den Besuch aufmerksam machen. Doch der hatte aus dem Bellen der Hunde bereits seine Schlüsse gezogen und öffnete gerade die Eingangstür. »Mylady.« Er verneigte sich knapp.
    Eine Frau mit kastanienbraunen Haaren in einem smaragdgrünen, schwarz paspelierten Kleid kam hereingeschwebt. An ihrer Hand baumelte ein Sonnenschirm. »Hallo, Thomas. Ist Seine Lordschaft in der Bibliothek?«
    Die, Dame lächelte siegesgewiss, und Jane hatte ein schlechtes Gefühl. Eine umwerfend attraktive Frau: mit großen Brüsten, Wespentaille und wohlgeformten breiten Hüften. Sie hatte ungefähr dasselbe Alter wie der Earl und wartete Thomas’ Antwort gar nicht erst ab, sondern marschierte gleich Richtung Bibliothek. Als sie Jane sah, blieb sie stehen.
    Jane spürte sofort den Kontrast zwischen ihr und der anderen. Neben dieser eleganten, weltgewandten Frau kam sie sich vor wie ein hässliches Entlein. Sie ärgerte sich über ihren Zopf, den Schmutz auf ihrer Nase, den Staub an ihren Händen und ihr einfaches blau gestreiftes Kleid. Doch vor allem hatte sie einen Wunsch: Sie wollte kein dünnes siebzehnjähriges Mädchen mehr sein. Eine schreckliche Vorahnung ergriff von ihr Besitz.
    »Hallo«, sagte die Frau gedehnt. Ihr Lächeln war jetzt verschwunden. Sie musterte Jane von Kopf bis Fuß – eine berechnende, kritische Inspektion. »Sind Sie ein neues Dienstmädchen?«
    »Ich heiße Jane Barclay«, entgegnete Jane kühl.
    »Wie nett«, murmelte die Rothaarige, und dann war sie auch schon in dem Gang verschwunden, der zur Bibliothek führte. Ihre roten Lackschuhe klackerten auf dem Steinfußboden. Jane registrierte entsetzt, dass die Fremde nur einmal kurz an die Tür klopfte und dann eintrat, ohne eine Antwort abzuwarten. Sie hätte am liebsten losgeheult, konnte sich aber noch zusammenreißen. Der

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