Bragg 04 - Dunkles Verlangen
seinen Stuhl unter dem Tisch hervorzog. Jane schluckte und ging dann wie selbstverständlich in den Raum. Sie setzte sich auf den Platz zu seiner Rechten.
Er sah sie mit großen Augen an. Dann gewann er allmählich die Fassung zurück und kniff die Augen zusammen. Er saß schweigend da und sah sie bloß an.
Jane streckte die Hand nach der kleinen Silberglocke aus. Verdammt, sie zitterte ja. Dann klingelte sie. Er sah sie immer noch unverwandt an. Seine schiere Präsenz brachte sie einer Ohnmacht nahe. Jane fühlte sich winzig – wie das Kind, das er offenbar in ihr sah. Sie bereute schon, was sie getan hatte. Doch er saß immer noch schweigend da.
Dann kam Thomas herein, gefolgt von zwei Bediensteten mit Fleisch- und Gemüseplatten. Auf seinem sonst ausdruckslosen Gesicht lag der Anflug eines Lächelns. »Wein, Mylady?«
Jane öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
Der Earl legte rüde die Hand auf ihr Glas. Jane bemerkte, dass die Hand – anders als sein nass geschwitzter Körper sauber war. »Sie ist keine ›Mylady‹«, sagte er bestimmt.
Thomas sah den Earl ausdruckslos an. »Wie bitte, Euer Lordschaft?«
Der Earl musterte Jane mit einem abfälligen Blick. »Man könnte fast meinen, dass du meine Gesellschaft suchst«, sagte er sarkastisch.
Jane errötete. Sie saß wie versteinert da und brachte kein Wort heraus.
Er nahm lachend die Hand von ihrem Glas und nickte Thomas zu, der Nicks Glas mit einem schweren Bordeaux füllte.
Jane blickte verstohlen in seine Richtung. Ein Bediensteter legte ihm ein Stück Lammbraten und diverse Gemüse vor. Nick schien von ihr keine Kenntnis zu nehmen – oder ob ihm sogar entfallen war, dass sie neben ihm saß? Sie konnte selbst kaum glauben, dass sie ihr Ziel so leicht erreicht hatte. Da der Earl es jedoch nicht einmal für nötig befand, mit dem Essen auf sie zu warten, konnte sich Jane eine spitze Bemerkung nicht verkneifen: »Euer Lordschaft?«
Er hörte auf zu essen und schaute mit erhobener Gabel irritiert in ihre Richtung.
»Normalerweise wartet man mit dem Essen, bis alle Anwesenden etwas auf dem Teller haben.«
Er verzog das Gesicht zu einem hässlichen Lächeln und aß weiter. »Du hast es so gewollt, nicht ich«, beschied er sie knapp.
Sie schnappte empört nach Luft.
Er hielt die Gabel noch immer auf sie gerichtet und sah sie lächelnd an. »Und untersteh dich, mich noch einmal zu kritisieren.«
Dann schaufelte er sein Essen in sich hinein. Jane hätte am liebsten angefangen zu weinen. jetzt erst begriff sie: Er konnte sie nicht leiden. Wieso war ihr das bis dahin nicht aufgefallen? Und jetzt saß sie mit ihm an einem Tisch, und er ließ sie völlig links liegen. Dann hätte er sie besser gleich des Raumes verweisen sollen. Sie bedankte sich – noch immer wie unter Schock – bei den zwei Bediensteten, die ihr das Essen gereicht hatten, und stach mit der Gabel in ein Stück Lammfleisch. Nein, in Tränen ausbrechen, das kam nicht in Frage. Er hatte sich ganz und gar unmöglich benommen, nicht sie. Er hatte keine Manieren. Er war der Flegel. Und dazu roch er noch. Was für ein unkultivierter Kerl.
»Scheiße«, sagte der Earl böse und knallte sein Silberbesteck auf den Tisch. »Wenn du jetzt auch noch anfängst zu heulen …« Er sah sie grimmig an.
Jane kämpfte mit den Tränen. Vor so einem Mistkerl fange ich doch nicht an zu weinen, schwor sie sich, niemals. Er schenkte ihr mit finsterem Gesicht ein Glas Wein ein, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.
Jane begriff plötzlich, dass sie gerade einen kleinen Sieg errungen hatte. Immerhin bemühte er sich in seiner primitiven Art darum, das gemeine Verhalten wieder gutzumachen, das er ihr gegenüber noch wenige Minuten zuvor an den Tag gelegt hatte. Dabei spielte es keine Rolle, dass sie überhaupt keinen Wein wollte. Wichtig war nur, was er getan hatte. Plötzlich kehrte ihr Appetit zurück, und sie fing langsam an zu essen, während er seinen Teller hastig leer aß. Obwohl keiner von beiden ein Wort sprach, fühlte sich Jane nun wieder etwas freier. Sie hatte ihre Lektion gelernt und traute sich nicht, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Sie sah ihn nur paar Mal verstohlen an, konzentrierte sich aber ansonsten auf das Essen auf ihrem Teller.
Der Earl warf seine Stoffserviette neben seinen Teller, stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte und wollte sich gerade hochstemmen. Jane erstarrte, die Gabel vor sich in der Luft. Auch der Earl, der bereits halb aufgestanden war, verharrte
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