Bragg 04 - Dunkles Verlangen
des Earls, der niemanden beachtete. Die offene Neugier der drei wich gespieltem Entsetzen. Die Frau rang melodramatisch um Luft, hob eine behandschuhte Hand und flüsterte ihren Begleitern laut zu. »Er ist es tatsächlich! Der Herr der Finsternis! Ihr wisst schon, der …« Der Rest war nicht mehr zu verstehen.
Janes Herz raste. Sie riskierte einen Blick auf den Earl. Seine dunkles Gesicht hatte sich tiefrot verfärbt, sodass er fasst wie von der Sonne gebräunt erschien. »Was für schreckliche Leute«, rief Jane aus, bevor sie einen klaren Gedanken fassen konnte.
»Komm, legen wir einen leichten Galopp ein«, entgegnete der Earl tonlos und ließ sein Pferd angaloppieren.
Bevor Jane »Warte, bitte« sagen oder auch nur einen Gedanken auf die neue Situation verschwenden konnte, fiel ihr Pferd ebenfalls in einen leichten Galopp. Jane war immerhin besonnen genug, um nicht zu kreischen, und hielt sich verzweifelt an ihrem Sattel fest.
Sie ließ die Zügel los, die jetzt einfach lose am Hals des Wallachs baumelten. Ihr nun völlig ungezügeltes Pferd fing an, schneller zu galoppieren. Das wiederum hörte der Earl und drehte sich gerade noch so rechtzeitig um, dass er sah, wie Jane ganz, ganz langsam aus dem Sattel glitt.
»Verdammt!«, schrie er, riss sein Pferd herum und sprang aus dem Sattel. Er kniete neben Jane auf dem Reitweg, während diese sich gerade aufrappelte und sich auf den Ellbogen abstützte. Sie sah den Earl und errötete.
»Alles in Ordnung?«, fragte er. »Irgendwas gebrochen? Tut es irgendwo weh?«
»Nein, alles bestens.« Ihre Stimme bebte. Denn sie log. In Wahrheit stand sie nämlich kurz vor einem Herzinfarkt.
Dann fing er unvermittelt an, außen an ihrem Kleid entlang ihre Knöchel, ihre Schienbeine, ihre Oberschenkel abzutasten. Jane wurde ganz ruhig. Von seinen Händen ging eine unglaubliche Wärme aus. Als er ihre Rippen abtastete, stockte ihr der Atem. Dann berührte er versehentlich eine ihrer Brüste, und sie sagte: »Oh!«
Er erstarrte, blickte auf und sah sie an.
Sein Gesicht war jetzt direkt vor ihr. ja, ihre Lippen hätten seinen Mund berührt, hätte sie sich nur ein wenig nach vorne gebeugt. Wie in Trance sank sie mit leicht geöffneten Lippen und weit aufgerissenen Augen in seine Richtung.
Er stand rasch auf und klopfte sich die Hose ab. »Alles in Ordnung«, sagte er mit belegter Stimme. Als er ihr beim Aufstehen half, spürte sie, dass die Hand, die er ihr anbot, zitterte.
Jane ergriff seine Hand und rappelte sich hoch. »Danke«, brachte sie gerade noch hervor.
»Warum zum Teufel hast du mir nicht gesagt, dass du nicht reiten kannst?«, knurrte er.
Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr Rücken tat weh. Nicht nur wegen der stechenden Schmerzen, sondern auch wegen der Art, wie Nick mit ihr sprach, standen ihr plötzlich die Tränen in den Augen. Aber auch weil er sie nicht geküsst hatte, obwohl sie sich nach einem Kuss von ihm verzehrt hatte.
»Wir gehen zu Fuß zurück«, tat er dann unvermittelt kund und schnappte sich die Zügel ihres Pferdes, das einige Meter entfernt damit beschäftigt war, Gras zu fressen.
»Alles in Ordnung mit ihr, Sportsfreund?«, rief ein Mann, der ein Stück entfernt von seinem Pferd aus alles beobachtet hatte. Er kam näher geritten. »Ich habe es ganz genau gesehen. Gott sei Dank nicht so tragisch …« Er hielt mitten im Satz inne und starrte den Earl ungläubig an. Seine Augen traten hervor.
Der Mann machte auf seinem Pferd unvermittelt kehrt und ritt zu seiner Begleiterin zurück. »Weißt du, wer das ist? Das ist Shelton!« Während die beiden davontrabten, drehten sie sich immer wieder um und steckten tuschelnd die Köpfe zusammen.
Das Gesicht des Earls war zu einer Maske erstarrt. »Das zum Thema Samariter«, murmelte er. »Am besten, du steigst jetzt wieder auf«, sagte er. »Sonst wirst du in Zukunft immer Angst vor dem Reiten haben.«
»Ich weiß«, sagte Jane fügsam. Dann platzte es aus ihr heraus: »Was für schreckliche Leute, allesamt!«
»Willkommen in London«, sagte der Earl.
Kapitel 20
Das Gefühl ließ sich einfach nicht vertreiben.
Tief in seinem Innern verspürte er Angst.
Aber wie es seine Art war, lehnte der Earl von Dragmore es ab, solche Gefühle zur Kenntnis zu nehmen. Auch weigerte er sich, über die Unverschämtheiten nachzudenken, mit denen er es während des Ausritts im Regents Park zu tun gehabt hatte. Vielmehr konzentrierte er seine Energie auf die für ihn entscheidende Frage, wie er sich
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