Bragg 04 - Dunkles Verlangen
schwer, das zu glauben«, sagte Lindley salopp, obwohl ihn die Zurückweisung verletzt hatte. So etwas kannte er eigentlich nicht.
Anscheinend konnte er seine Gefühle nicht ganz verbergen. Wenigstens nahmen Janes Augen plötzlich einen milderen Ausdruck an, und sie drückte kurz seine Hand. »Tut mir leid. Ich bin schrecklich. Und das, obwohl du immer sehr nett zu mir gewesen bist. Sollen wir ein bisschen im Park spazieren gehen?«
»Wie wär’s mit den Covent Gardens?«, schlug er grinsend vor und war bereits wieder versöhnt.
Jane sah ihn mit ihrem schönen Lächeln an. »Na gut«, sagte sie.
Zwei Wochen später kam Lindley zu Ohren, dass Shelton in der Stadt war. Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen. Doch er versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass er keinen Grund hatte, sich schuldig zu fühlen. Schließlich hatte er nichts weiter getan, als sich vier- oder fünfmal mit Jane zu verabreden, die er im Übrigen schon sehr bald wieder zu sehen hoffte.
Ihre Gesellschaft war einfach wundervoll, und dazu war sie noch unglaublich schön. Er hatte sich inzwischen eingestanden, dass er mehr von ihr wollte, als eine alte Freundschaft wieder aufzuwärmen. Verliebt in sie war er allerdings nicht, und das war gut so. Denn was hätte es ihm genützt, sich in eine Schauspielerin zu verlieben. Eines Tages musste er ohnehin eine standesgemäße Frau heiraten. Trotzdem war sie für ihn eine echte Freundin, und er hoffte, sie schon bald zu seiner Mätresse zu machen.
Aber sie war eine Dame, und dazu noch so jung und außerdem noch unberührt (obwohl sie sich bestens auszukennen schien, wie er einigermaßen verwirrt feststellen musste). Deshalb hatte er bislang nicht einmal versucht, sie zu küssen Als er sich nun auf den Weg machte, um Shelton zu begrüßen, kam ihm ein irritierender Gedanke. Jane war ja erst neunzehn Jahre alt. War Dragmore eigentlich offiziell noch ihr Vormund? Falls ja, war sein – Lindleys – Leben keinen Pfifferling mehr wert, wenn er sie zu seiner Geliebten machte. Der Gedanke wirkte auf ihn wie eine kalte Dusche.
Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, mit dem Earl über Jane zu reden, doch nun fand er es ratsamer, das Gelände in dieser heiklen Frage zunächst zu sondieren. Wie konnte er seinem besten Freund nur beibringen, dass er dessen inzwischen zum Bühnenstar avanciertes Mündel zu seiner Mätresse zu machen gedachte? Furchtbar komplizierte Geschichte.
Der Earl freute sich, ihn zu sehen. »Habe schon überlegt, wann du mir mal die Ehre erweist«, sagte er und lächelte kaum merklich.
Lindley grinste zurück. »Du weißt doch, wo ich wohne, alter Knabe.«
»Aber da ich dich kenne«, entgegnete Nick, »weiß ich auch, dass du bis weiß Gott wann mit weiß Gott wem im Bett liegst, und ich möchte dich doch um Himmels willen nicht bei deinen Liebesspielen stören.«
Lindley lachte. »Und wie geht es Amelia und Genevieve und wie heißt noch mal die spanische Tänzerin? Therese?«
Gegen alle gesellschaftlichen Regeln tranken die Männer bereits um zehn Uhr früh Kaffee mit reichlich Cognac und rauchten Zigarren. Dann tauschten sie Neuigkeiten und den üblichen Klatsch aus und sprachen schließlich über ihre eigenen Angelegenheiten. Der Zwischenfall, der zwei Jahre zuvor dazu geführt hatte, dass der Earl Lindley zuerst geschlagen und dann vor die Tür gesetzt hatte, war zwar zwischen den beiden Freunden kein Thema mehr. Dennoch hatte Lindley stets das Gefühl, dass sich zwischen ihnen seither etwas verändert hatte und dass die alte Unbefangenheit ein für allemal dahin war. Er wusste, dass Shelton keinen Groll mehr gegen ihn hegte. Er wusste auch, dass Shelton ihm verziehen hatte, was er sich damals Jane gegenüber herausgenommen hatte. Doch mochte dies alles auch verziehen sein, vergessen war es deswegen noch lange nicht.
»Ich habe sie gesehen«, sagte Lindley eine Stunde später.
»Wen?«, sagte der Earl und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre. »Amelia?«
Lindley schüttelte den Kopf und trank seinen verstärkten Kaffee aus. Sein Gesicht war inzwischen kräftig rosa verfärbt. »Jane Barclay.«
Der Earl saß mit weit aufgerissenen Augen einige Sekunden reglos da. Dann blickte er zu Boden und trank von seinem Kaffee. Als er die Tasse und die Untertasse wieder auf den Tisch stellte, klirrte das Geschirr leise. Lindley legte die Stirn in Falten.
Der Earl saß schweigend da. Sein Gesicht war ausdruckslos. Schließlich sagte Lindley, auf dessen Stirn noch immer
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