Bragg 04 - Dunkles Verlangen
seine Lust an ihr abreagiert, ohne auch nur einen Gedanken an ihre Gefühle zu verschwenden. Was interessierten ihn schon ihre Gefühle. Außerdem mochte sie es, hart genommen zu werden. Er drehte sich um, lehnte sich gegen die Spiegelkommode und musterte sie ganz ungeniert. Amelia sah ihn mit einem einladenden Lächeln an, schob das Betttuch mit einer lasziven Bewegung beiseite und gestattete ihm einen Blick zwischen ihre Schenkel.
Wird auch immer fetter, dachte er angewidert. Oder war sie schon immer so überreif gewesen? In diesem Augenblick erinnerte sie ihn an eine Kuh, und er sah ständig Janes Bild vor sich. Wenn auch nur aus der Ferne, hatte er ihre herrliche schlanke Figur ganz genau gesehen. Ihre unglaublich sinnliche Erscheinung – eine Sirene, der die Männer zu Füßen lagen. Er überlegte, was ihn eigentlich dazu bewogen hatte, sich wieder mit Amelia einzulassen, nachdem er ihr vor zwei Jahren schon einmal den Laufpass gegeben hatte. Ach ja: Als er in jenem Herbst erstmals wieder in London gewesen war, hatte sie ihm pausenlos nachgestellt, und es war ihm relativ egal gewesen, wer ihm nachts das Bett aufwärmte. ja, Bequemlichkeit, das war damals der Grund gewesen, und das war auch jetzt wieder der Grund.
»Komm her«, schnurrte Amelia und strich mit der Hand über das Bettlaken neben ihrem üppigen Schenkel.
Er drehte sich um und verließ wortlos das Zimmer. Nicht mal die Tür machte er hinter sich zu.
»Du bist ein Bauer«, rief sie ihm frustriert hinterher. »Und du wirst immer schlimmer.«
Er würdigte sie keiner Antwort. Wenn ihr was nicht passte, konnte sie ja gehen. ja, er hoffte sogar, dass sie verschwinden würde. Während er heißen starken Kaffee trank, ließ er draußen die Kutsche vorfahren. Essen konnte er ohnehin nichts, dazu war er viel zu angespannt. Er wollte unbedingt Jane sehen. Aber vorher musste er sie natürlich erst einmal finden.
Er bedauerte, dass er vor knapp zwei Jahren beschlossen hatte, ihr durch Robert Gordon regelmäßig einen gewissen Betrag zukommen zu lassen. Zu Gordon hatte er damals gesagt, er wolle Jane lediglich monatlich mit einer bestimmten Summe ausstatten und ansonsten mit ihren Belangen abso lut nicht behelligt werden. Und so hatte er seit zwei Jahren nur regelmäßig die Schecks unterzeichnet und im Übrigen von Gordon keine Silbe gehört. Deshalb wusste er nicht einmal, wo sie wohnte. Und deshalb musste er jetzt seine Zeit damit vertun, zunächst einmal ihre Adresse ausfindig zu machen.
Den ersten Zwischenstopp legte der Earl in Mayfair ein. Als ihm wieder einfiel, dass er Lindley am Vorabend in ihrer Garderobe angetroffen hatte, war die Wut plötzlich wieder da. Er wollte Lindley zur Rede stellen, doch der war bereits weggefahren und wurde erst nach dem Tee zurückerwartet. Nick war sich nicht einmal sicher, ob Lindley überhaupt wusste, wo genau Jane zu finden war. Das hing von der Antwort auf die Frage ab, die seinen Zorn so sehr erregte: Wie gut kannten die beiden sich? Waren sie etwa liiert?
Falls sich dies so verhielt, gedachte er Lindley umzubringen.
Als er in dem prachtvollen Backsteinhaus, das Lindley sich vor einiger Zeit hatte bauen lassen, die Treppe hinunterging, beruhigte er sich wieder ein wenig. Er beschloss, Lindley doch am Leben zu lassen. Schließlich war der arme Kerl gewiss den Verführungskünsten dieses kleinen Luders erlegen. Wahrscheinlich hatte sie sich heimlich in sein Bett geschlichen, als er gerade völlig betrunken im Tiefschlaf gewesen war. Anders hatte sie es ja bei ihm selbst auch nicht gemacht. Kein Mann konnte unter solchen Umständen widerstehen. Außerdem: Was ging ihn das alles an? Sie war zwar sein Mündel, richtig, aber doch nur dem Namen nach. Sie hatte sich für ein Leben entschieden, in dem er nicht vorkam. Umso besser. Er schickte ihr zwar regelmäßig Geld, aber sie konnte sich natürlich trotzdem vergnügen, mit wem sie wollte. Auch mit Lindley.
Wirklich beruhigend war das alles für ihn natürlich nicht.
Er wusste, wo Gordon wohnte, aber der war ebenfalls nicht da und wurde erst abends nach der Vorstellung zu Hause zurückerwartet. Der Earl verzichtete darauf, eine Nachricht zu hinterlassen.
Im Criterion wusste niemand, wo sie wohnte, und der Earl zweifelte nicht daran, dass die Leute, mit denen er sprach, die Wahrheit sagten. Allmählich begriff er, dass sie ihre Adresse bewusst verheimlichte. Ein bisschen merkwürdig zwar, fand er, aber angesichts der zahlreichen Verehrer, die offenbar jeden Abend
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