Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Schade, dazu fehlt uns die Ze it.
Ich dränge zum Aufbruch.
Nach 200 Metern verengt sich der Konzertplatz zur Franciszka ń skastraße. Ihr folgen wir bis zur Straszewskiego, wo wir rechts abbiegen und die Marszałka Józefa hinauf marschieren. Was für Zungenbrecher, diese Straßennamen!
Mein Begleiter zeigt sich von der neuen Umgebung beeindruckt. Ob dabei der Gedanke einer Heimkehr in die unbekannte Heimat eine Rolle spielt? Fühlt er sich mit seinem Geburtsland verbunden? Nie zuvor habe ich ihn in vergleichbarer Verhaltenheit erlebt. Ich hüte mich, ihn darin zu stören. Zudem habe ich mit Kartenlesen momentan genug zu tun.
20 Minuten später landen wir in der Aleja Adama Mickiewicza, an der wir die Universitätsbibliothek mit der berühmten Autografen-Sammlung finden sollten. Tatsächlich erkenne ich nach wenigen Schritten den imposanten Bau. Die Fassade ist mir aus dem Internet vertraut.
»So, Stefan. Da wären wir.«
»Muss ich mit rein?«
»Nein. Du könntest inzwischen die Umgebung erkunden. Beispielsweise den Park da.« Ich zeige ihn auf der Karte. »Einfach zu finden. Die Anlage liegt gleich hinter der Bibliothek.«
»Easy. Kann ich mal checken. Wann bist du hier drinnen fertig?«
»Ich weiß nicht genau. Wie gesagt, habe ich gleich anschließend das Treffen mit dem Bibliotheksleiter. Das wird vermutlich keine Stunde dauern. Danach hoffe ich, den Brahms vorgelegt zu bekommen. Ich werde ihn mit meinen Kopien und den Drucknoten vergleichen. Bis zum Mittag sollte ich das schaffen. Anschließend komme ich zu dir in die Gartenanlage. Schau hier, der nierenförmige Teich. Punkt 12.00 Uhr treffen wir uns an seiner schmalsten Stelle. Einverstanden?«
»Geht klar. Hoffentlich gibt’s Enten auf dem Tümpel. Ich möchte meine Treffsicherheit fürs Compy-Game verbessern«, sagt Stefan und grinst.
Verständnislos mustere ich den Spitzbuben. »Was für eine Treffsicherheit?«
Er antwortet in Bildern: »Vorher: Steinchen in der Hand. Nachher: Entchen unter Wasser.«
Ich schüttle den Kopf. »Mach bloß keine Dummheiten. Sonst muss ich dich am Ende noch auf der Polizeiwache abholen.«
9
Der Haupteingang der Biblioteka Jagiello ń ska wirkt einschüchternd.
Auf der Mittelachse eines langen, symmetrischen Flachdachbaus mit lanzettförmigen Fensterreihen beeindruckt das sechs Meter hohe Portal als Zentrum eines vorgelagerten Fassadenkomplexes. Über den beiden Flügeln der sechsfach kassettierten und dick verglasten Eingangspforte steht in plastischen Großbuchstaben der Name der altehrwürdigen Institution. Ein Oberlicht in der Breite der beiden Türflügel ergänzt den Bereich. Seitlich wird die Pforte von je vier übereinandergestapelten dunklen Steinplatten flankiert. Das Ganze wird von einem stufenförmigen Rahmen wie mit einem bruchsicheren Stahlband umfasst und erinnert an einen überdimensionalen Kassenschrank. Die Pforte der Schweizer Nationalbank könnte nicht eindrücklicher gestaltet sein.
Ich melde mich an der Information.
»Dzie ń dobry«, grüßt die Frau am Schalter.
»Mein Name ist Hanspeter Feller. Ich komme aus der Schweiz und habe einen Termin bei Professor Marczy ń ski.« Seinen Namen habe ich mir kurz zuvor nochmals mithilfe eines Fresszettels in Erinnerung gerufen.
Sie nickt wortlos und tippt mit dem versteiften Mittelfinger der rechten Hand auf eine Tastatur. Dazu verfolgt sie die kleinen schwarzen Zeichen auf dem Bildschirm, als staunte sie über das Wunder der digitalen Technik.
»Tak. Here we are, Mister Fetter. Office Number 1586.«
Die Büronummer überfordert mich derart, dass ich es unterlasse, meinen Namen zu berichtigen. Stattdessen repetiere ich: »Eins, fünf, sechs … Ähm?«
Sie wiederholt geduldig die richtigen Zahlen. Ich stammle dankbar »Dziekuje« , in der Annahme, es heiße ›Danke‹. Aber da habe ich möglicherweise einen Aussprachefehler begangen. Die Dame guckt mich jedenfalls einen Augenblick verstört an, bevor sie sich nach hinten lehnt, um nach einer Elena zu rufen.
Eine freundliche, ältere Dame mit Mondgesicht erscheint umgehend. Sie grüßt auf Deutsch und begleitet mich zum Treffen. Wir durchschreiten die langen, finsteren Gänge des Altbaus und den wundervoll hellen Lesesaal eines modernen Tracks. Hier sitzen junge Menschen an alten Computern. Sie unterhalten sich mit gedämpfter Stimme. Schließlich klopft Elena an eine dunkle Holztür, öffnet sie und lässt mich in ein verwaistes Besprechungszimmer eintreten. Mitten im Raum stehen
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