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Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Haenni
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zwei aneinandergeschobene Schreibtische auf dunklem Parkettboden. Die Pulte sind total leer. Vier Flechtstühle scharen sich darum.
    Elena rückt mir einen Stuhl zurecht und verspricht: »Chef kommen sofort.« Darauf gönnt sie mir den Anflug eines Lächelns und entschwindet.
    Eine Seite des Raums ist vollständig verglast. Die andern drei Wände überziehen deckenhohe Bücherregale. Nur die Tür durchbricht die Formation der bunten Buchrücken. Eigenartigerweise riecht es nicht nach alten Folianten, sondern nach Desinfektionsmittel. Wie in einem Spital. An der Decke reihen sich fünf kreisrunde Neonleuchten wie flache Hutschachteln aneinander.
    Zwischendurch streckt mal ein Typ seinen Kopf ins Zimmer. Er stottert verwirrt so was wie »Cz-Cze ść !« und verschwindet. Bevor ich mir darüber weitere Gedanken mache, erscheint ein mittelgroßer Herr im ockerfarbenen Cordanzug im Türrahmen. Dynamisch eilt er auf mich zu und reicht mir die Hand. »Herr Feller? Marczy ń ski. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
    Nach ein paar weiteren Höflichkeitsfloskeln trage ich ihm mein Anliegen vor. Als ich dem Professor vom Auftauchen der verschollenen Sonatensätze berichte, reagiert er mit großer Überraschung und kleinen Vorbehalten. Er macht den Eindruck, bisher nichts von der Existenz des Autografs gewusst zu haben.
    »Darf ich mir die beiden Sätze ansehen?«, fragt Marczy ń ski fast als Erstes.
    »Gerne. Ich habe allerdings nur Fotokopien dabei.«
    »Oh, wie bedauerlich.« Begreiflicherweise wirkt er enttäuscht.
    »Das Risiko, die Originale außer Landes zu bringen, habe ich nicht eingehen dürfen. Ich bitte Sie um Verständnis, Herr Professor.«
    Nur oberflächlich blättert er darauf die Kopien durch und erkundigt sich: »Was wollen Sie dann vergleichen? Kopien mit Originalen? Glauben Sie wirklich, so die Ungewissheit ihrer Echtheit klären zu können?«
    Für seine Zweifel habe ich Verständnis und will sie entkräften. »Ich habe mir die Papiere vor der Abreise sehr genau angesehen. Ich weiß, worauf ich zu achten habe. Und die Handschrift lässt sich meiner Meinung nach anhand der Kopien ausreichend beurteilen.«
    »Nun, das müssen Sie wissen. Sie werden verstehen, dass ich gerne die Originale in Händen gehabt hätte. Ist Ihnen bekannt, wer sie in der Schweiz zu veräußern sucht?«
    »Nein. Ich kenne den Anbieter nicht persönlich. Herr Auf der Maur, der Präsident der Thuner Brahmsgesellschaft, pflegt aber den Kontakt. Angeblich soll es sich um einen jüngeren Mann handeln, der möglicherweise aus dem Ostblock stammt.«
    Er meint nach kurzer Pause: »Ich schlage vor, dass Ihnen meine Mitarbeiterin nun unser Manuskript aus dem Archiv holt. Schon wieder, wie ich anmerken muss.«
    »Wie meinen Sie das?«, frage ich verwundert.
    »Bereits gestern hat sich jemand genau das gleiche Dokument vorlegen lassen. Brahms scheint in Mode zu kommen.«
    Die Mitteilung des Professors beunruhigt mich. Trägt sie den Keim unnötiger Schwierigkeiten in sich? »Könnten Sie mir diesen Besucher beschreiben?«
    »Kein Besucher. Eine Besucherin«, präzisiert er. »Eine Dame in den frühen 50-ern. Mittelgroß, schlank, fast mager. Dunkel gefärbte Haare. Eine gepflegte, stilvollendete Erscheinung. Sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug. Falls Ihnen diese Angaben irgendwie dienlich sind.« Dazu lächelt er bescheiden.
    »Oh ja. Ich glaube schon. Früher oder später. Besten Dank.« In Wahrheit habe ich keinen Schimmer, um wen es sich handeln könnte.
    Marczy ń ski verabschiedet sich mit den Worten: »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Krakau und eine gute Rückreise in die Schweiz.«
    Damit wird deutlich, dass die Angelegenheit für ihn bereits erledigt ist. Für mich fängt sie erst richtig an. Wer zum Henker war diese mysteriöse Besucherin? Wozu hat sie sich die Urschrift vorlegen lassen?

10
    Elena taucht mit einer Aktenmappe auf.
    Sie zieht weiße Baumwollhandschuhe über und entnimmt der Mappe die Handschriften. Auch mir hat sie ein Paar Handschuhe mitgebracht. Unnötigerweise mahnt sie mich zur Vorsicht. Daraufhin entfernt sie sich. Man scheint mir zu vertrauen. Ich suche in meiner Jacke nach einer großen Lupe, lege meine Fotokopien links neben die Originale und beginne mit deren Prüfung. Zusätzlich konsultiere ich eine Druckfassung der Edition Peters. Diese vergleiche ich Takt für Takt mit der Notation des Allegro amabile.
    Was mir am Original sofort auffällt, ist seine Farbe. Der erste Satz wurde auf

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