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Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall

Titel: Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Haenni
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eine Blamage für die ehrenwerte Universitätsbibliothek, sollte sich herausstellen, dass seit Jahren wertlose Makulatur archiviert würde. Mit dieser Hypothese mache ich mich bei Professor Marczy ń ski mit Sicherheit unbeliebt.
    Vorerst gehe ich aber davon aus, dass die Krakauer Dokumente aus dem Besitz des Verlegers Fritz Simrock stammen. Er publizierte 1887 in Berlin die Erstauflage. Warum ist die Partitur nur unvollständig erhalten geblieben?
    Gesichert ist hingegen die Erkenntnis, dass Brahms eine Abschrift an Elisabeth von Herzogenberg verschickt hatte. Sie war mit dem Komponisten Heinrich Freiherr von Herzogenberg verheiratet und galt als große Musikförderin. Brahms hielt viel auf ihr Urteil. Mit Charme schaffte sie es, dem leicht Gekränkten auch kritische Punkte nahezubringen. Von ihrer Meinung konnte Brahms die Herausgabe oder Zurückhaltung eines Werks abhängig machen. Elisabeth war ihm die konkurrenzlos beste Beraterin. Besser noch als Clara Schumann oder Hermine Spies.
    Für Elisabeth stellte es eine Gratwanderung dar, sich die Verehrung von Brahms gefallen zu lassen, ohne gleichzeitig den eigenen Ehemann in ein schlechtes Licht zu rücken. Dieser erhoffte sich Aufmerksamkeit für seine eigenen Kompositionen. Genau dieses Interesse versuchte Elisabeth bei Brahms zu wecken. Dem Fortbestand der Ehe zuliebe. Um jeden Preis. So soll sie selbst vor Diebstahl nicht zurückgeschreckt sein. Der kriminelle Ausrutscher passierte anlässlich eines Besuchs beim Meister in Pörtschach. Dort habe sie heimlich Brahms’ Motette ›Warum ist das Licht gegeben‹ mit einem Werk ihres Mannes vertauscht. Als Johannes den Tausch bemerkte, rechtfertigte sich Elisabeth mit der Entschuldigung, lediglich den Anstoß zur Durchsicht der Papiere gegeben zu haben. Brahms verzieh ihr. Er bewunderte ihre vorbehaltlose Liebe zum Ehemann, ihr diplomatisches Geschick und ihre ungewöhnliche musikalische Begabung.
    Mit 13 Jahren soll sie sich Schumanns ›Eichendorfsche Lieder‹ ausgeliehen haben. Heute würde man die Noten fotokopieren. Damals aber memorierte sie das Mädchen in Rekordzeit. Es notierte mit Stolz: ›… die ganzen zwei Hefte in einem Saus und wie ich froh war, dass das so fabelhaft rasch ging.‹
    Weiter habe Elisabeth dem Konzertmeister des Leipziger Gewandhauses Brahms’ erstes Streichquartett auf dem Klavier vorgespielt. Natürlich auswendig. Nur um ihn zur Aufführung des Werks zu bewegen. Zudem war sie imstande, aus schwer lesbaren Partituren Klavierauszüge zu generieren. Auch das Paper der Thuner-Sonate ging durch ihre Hände. Brahms bat schriftlich um eine Kritik. Was hat sie ihm darauf geantwortet? Schickte sie ihm zusammen mit ihrem Urteil auch die Papiere retour? Oder verblieben sie in ihrem Besitz? Man weiß es nicht.

     
    *
    Gegen Mittag unterbreche ich meine Nachforschungen in der Bibliothek.
    Draußen ist leichter Wind aufgekommen, der den Nebel vertrieben hat. Jetzt scheint die Sonne. Ich bummle zufrieden Richtung Park, um mich mit Stefan zu treffen. Auf der Hauptstraße dröhnt der Mittagsverkehr. Ich bin froh, nach wenigen 100 Metern links abzubiegen und einem mit Bäumen und Büschen gesäumten Fußweg zu folgen. Von weitem glitzert der Teich. Zu meiner Erleichterung schwimmen darauf drei unversehrte Tafelenten.
    Nur von den blonden Federn meines Schützlings ist vorerst nichts zu sehen. Das verärgert mich. Unpünktlichkeit kann ich nicht ausstehen. Nicht mit einer präzisen Tissot am Handgelenk. Aber welcher Jugendliche trägt heute noch eine Armbanduhr? Da lockt nicht einmal mehr eine Swatch der allerneusten Kollektion. Zeitangaben checken Checker wie mein unmündiger Schützling lieber auf ihren omnipräsenten Handys.
    12.05 Uhr. Ich warte.
    Nach weiteren zehn Minuten hört der Spaß auf. Ich beginne, ungeduldig hin und her zu tigern. Schließlich breche ich zu einer ersten Teichumrundung auf. Wo er bloß bleibt, der Stefan? Eine Zumutung, mich warten zu lassen. Er konnte den ganzen Vormittag über tun und lassen, was ihm gefiel. Darf ich danach nicht erwarten, dass er wenigstens unser Rendezvous einhält?
    Runde zwei. Ein weiterer Blick auf die Uhr. Bereits 12.20 Uhr. Darauf die dritte Teichtour. Ich habe den Eindruck, dass mich die Enten misstrauisch zu mustern beginnen. Blöde Viecher! Ich hebe ein Steinchen vom Kiesweg und schmeiß es gegen das unverschämte Gefieder. Zack! Daneben geworfen. Immerhin lüften die Vögel kurz ihre Flügel.
    Unglaublich! Das geht definitiv zu weit! 12.30

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