Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Uhr. Der Lümmel lässt sich nicht blicken. Hätte ich ihn doch erst gar nicht mitgeschleppt. Das ersparte mir jetzt Ärger und Zeitvergeudung.
»Shit!«, zische ich halblaut zwischen den Schneidezähnen hervor. Zwei Mädchen, die Arm in Arm durch den Park schlendern, wenden sich verwundert nach mir um. In dem Moment fällt mir im satten Rasengrün ein hellblauer Fleck in die Augen. Mein Herz beginnt wild zu pochen. Puls 90, Blutdruck 160. Dann renne ich los. Ich habe mich nicht getäuscht. Stefans Baseballmütze!
Nachdem ich das cyanblaue Käppi aufgehoben und eine Weile ratlos in den Händen herumgedreht habe, entdecke ich auf der Unterseite des gekrümmten Schirms einen Blutfleck. Damit ist der letzte Rest meiner Zuversicht verflogen. Was hat sich abgespielt? Wo ist der Junge geblieben?
Hilfesuchend schaue ich um mich. Nichts als friedliche Spaziergänger, kackende Hunde und lärmende Kinder. Die reine Idylle. Bei wem finde ich Hilfe? Was tu ich jetzt?
Ich setze mich erstmal auf die nächstbeste Parkbank. Bewusst atme ich tief ein und aus. Ich bemühe mich, einen klaren Kopf zu wahren. La solution existe! Möglicherweise kommt der Vermisste gleich um die nächste Hecke geeilt. Die Verspätung fiele plötzlich kaum mehr ins Gewicht. Wenn er nur wieder auftauchte. Aber er tut es nicht.
Ich erinnere mich an sein Handy. Ich Depp! Ich brauch ihn nur anzurufen. Wie gut, dass Stefan dieses Gerät immer mit sich trägt. Eine Armbanduhr brächte jetzt rein gar nichts. Ich wähle seine Nummer und warte.
»Tuut, tuuut, tuuuut.« Nichts.
Er nimmt den Anruf nicht entgegen. Habe ich überhaupt die richtige Nummer gewählt, in der Aufregung? Ich versuche es von Neuem. Wie ein kurzsichtiger Greis tippe ich konzentriert Zahl für Zahl ins Display.
Wieder ertönt das Freizeichen.
»Geh ran, Stefan! Bitte nimm’s!« Mein Stoßgebet verhallt ungehört. Was tu ich als nächstes? Bereits 13.00 Uhr. Ergibt es Sinn, weiter im Park herumzuhocken?
Ich entschließe mich, ins Hotel zurückzukehren. Möglicherweise wartet er dort. Dumm nur, dass ich die Nummer des Hotels nicht gespeichert habe. Statt aber noch lange erfolglos herumzutelefonieren, will ich mich auf kürzestem Weg in die Gertrudystraße begeben. Nachdem ich diesen Entschluss gefasst habe, fühle ich mich besser. Ich schöpfe Hoffnung. Die hellblaue Mütze in der einen und meine Aktenmappe in der andern Hand renne ich zur Hauptstraße vor der Bibliothek . Dort winke ich ein Taxi herbei. Wenige Minuten später eile ich bereits durch die Eingangshalle des Planty auf den verdutzten Rezeptionisten zu.
»Haben Sie meinen Begleiter gesehen?«
»Selbstverständlich, Herr Feller«, bestätigt der Angestellte und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: »Ein hübscher Bursche.«
Mich interessiert nur eines: » Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Heute Morgen, als Sie gemeinsam das Hotel verlassen haben.«
Eine Enttäuschung.
»Ist der Zimmerschlüssel da?«, frage ich.
»Tak, Herr Feller.«
»Das ist schlecht«, sage ich. Damit stoße ich beim Rezeptionisten auf Verständnislosigkeit. »So geben Sie her. Schnell!«
Er kommt meinem Wunsch mit leichtem Kopfschütteln nach. Es ist mir so lang wie breit, was der süffisante Lappi von mir hält. Wie ein Irrer stürme ich zum Aufzug. Der lässt sich Zeit. Ich verliere die Geduld. Mehrere Stufen gleichzeitig überspringend fliege ich die gewundene Treppe hoch. Atemlos erreiche ich die Zimmertür. Siehe da. Was für eine Erleichterung. Sie steht weit offen.
»Stefan?«
Erwartungsvoll betrete ich unser Zimmer. Ich werde mit den Worten »Dzie ń dobry« begrüßt.
11
»Auf Wiedersehn. Danke.«
»Do jutra!«
Nachdem das Zimmermädchen die Türe hinter sich geschlossen hat, setze ich mich aufs Bett und suche meine Gedanken zu ordnen. Mit jeder neuen Erkenntnis beschleicht mich dieses Gefühl, das mich lähmend an der Gurgel packt. Ich realisiere, dass das Licht am Ende des Tunnels nichts ist als der Widerschein der Hölle. Mit zittriger Hand fahre ich verloren über eine mickrige Bettdecke. Was gäbe ich jetzt für einen zertrümmerten Bettrost! Wie fehlt mir Stefans Lachen! Was ist bloß geschehen? Wenn ihm nur nichts zugestoßen ist!
Ich erwäge, Jürg Lüthi in der Schweiz zu alarmieren. Hinterher verwerfe ich die Idee wieder. Wozu seine Eltern auch noch beunruhigen? Das bringt hier nichts. Ratlos vergehe ich mich an einem Härchen meines linken Brauenbogens.
Soll ich die Polizei benachrichtigen? Und wenn der Junge
Weitere Kostenlose Bücher