Brahmsrösi: Fellers zweiter Fall
Zeigefinger?
Meinungsverschiedenheiten mit Jüre gehen mir an die Nieren. Es fällt mir schwer, ihm gegenüber den Chef zu markieren. Auch wenn das von außen gelegentlich anders wahrgenommen wird. Aber wer weiß unsere Beziehung schon richtig einzuschätzen? Unser berufliches Verhältnis in erster Linie. Vom privaten nicht zu reden. Was bin ich für Jüre? Wer ist er für mich? Oder besser: Was ist er mir? Untergebener, Angestellter, Mitarbeiter oder Kollege? Ein Freund sogar?
Oder sollten diese Überlegungen ohne mich und mir gestellt werden? Also: Wer und was ist er? Zwei schwierige Fragen. Die Beantwortung geht ans Eingemachte, mit all den vakuumverschlossenen Emotionen einer steril und heiß eingekochten Freundschaft. Was für eine Haltbarkeit steht auf dem Spiel? Jene der latenten Zuneigung kollegialer Zweisamkeit?
Jürg Lüthi habe ich vor sieben Jahren als arbeitslosen Schriftsetzer kennengelernt. Deprimiert vor sich hin starrend. Wir beide. Wir hatten soeben den Job verloren. Er den seinen in der Druckerei. Ich den meinen in der Schule. Darum begann ich als selbständiger Detektiv zu arbeiten.
»Und du, was bügelst du?«, fragte Jüre damals.
Ich stockte kurz. Sollte ich nun mit Lehrer oder Detektiv antworten? Ich entschied mich für das zweite.
Jüre reagierte belustigt. »Ernsthaft? Du bist Detektiv? Mehr Derrick oder Der Alte?«
»Mehr Miss Marple, befürchte ich. Davor war ich Lehrer.«
Er bohrte nicht weiter. Entgegen meiner Erwartung. Dafür machte Jüre einen denkwürdigen Vorschlag: »Engagiere mich als Assistenten. Jeder berühmte Detektiv hat einen.«
Sein Vorschlag überraschte mich und gefiel mir auf Anhieb. Erstaunlicherweise. Denn wie gesagt, ich kannte Jüre nicht näher. Gerne habe ich mir aber vorgestellt, ihn künftig an meiner Seite zu wissen. Was riskierte ich? Immerhin war von einer Probezeit die Rede. Deren Dauer blieb allerdings ungeklärt. Unabsichtlich. Den neuen Mitarbeiter schien das nicht zu stören. Bereits am folgenden Tag nahmen wir unseren ersten gemeinsamen Fall in Angriff.
Eine Sozialversicherung wünschte die Überprüfung der Invalidität eines Rentenbezügers. Abwechselnd lungerten mein Assistent und ich im Lerchenfeld um den Wohnblock eines 30-jährigen Krückenmanns. Bereits am dritten Nachmittag, einem Mittwoch, spielte der angeblich Gehbehinderte mit seinem minderjährigen Sohn Fußball auf der großen Allmend. Jüre schoss die entscheidenden Fotos. Ich stellte sie der Versicherung in Rechnung.
Weiter hatten wir im Auftrag einer besorgten Ehefrau die Seitensprünge eines Stadtrats zu dokumentieren, auf dem Bahnhofareal Kleindealern den Garaus zu machen und einer irren Alten den Beweis zu erbringen, dass ihr fetter Pinscher nicht von der betagten Nachbarin vergiftet wurde. Es war vielmehr der begabte Hauswart. Das wiederum wollte die Mandantin nicht wahrhaben. Also spendete ich Trost. Ich riet zur Anschaffung eines Ersatztiers. Angeblich soll sie sich für Kampffische entschieden haben.
Auch neben den eigentlichen Arbeitszeiten verbrachten Jüre und ich anfänglich viel gemeinsame Zeit. Wir hatten nichts Besseres zu tun. Als die Geschichte mit seiner vergötterten Marie-Josette losging, wurden diese Momente seltener. Ich warnte Jüre vor seiner ausländischen Geliebten, nur vordergründig aus freundschaftlicher Besorgnis. Eigennutz diktierte mein Verhalten. Vielleicht auch etwas Eifersucht. Ich begann, an seiner Arbeit herumzunörgeln. Wir hatten unsere erste veritable Krise. Die entscheidende Entschärfung brachte ein kurzes Statement meines empathischen Assistenten: »Hanspudi, ich schätze dich als Kollegen. Für unsere Freundschaft bin ich dankbar. Genauso dankbar ist dir Marie-Josette, dass ich in dir einen flexiblen Arbeitgeber gefunden habe.« Schon waren wir wieder versöhnt!
In Wahrheit konnte ich es mir gar nicht leisten, auf seine Mitarbeit und Freundschaft zu verzichten.
25
Eleonore Günther hat offenbar den Musiksalon verlassen.
Ich entdecke sie auf der kniehohen Terrassenmauer. Sie sitzt dort mit übereinandergeschlagenen Beinen. Diese stecken in dunkelblauen Hosen.
Ich stutze.
Ellen präsentiert sich in einem Hosenanzug, wie er vom Krakauer Bibliotheksleiter beschrieben wurde. Was berichtete der Hotelconcierge? Wenn ich mich nicht irre, sprach er von einer blau-weißen Bluse. So eine trägt Ellen heute ebenfalls. Mit weißem Schalkragen dazu. Kann es Zufall sein?
Ich versuche die Frage zu bejahen. Erfolglos. Ellen war in Polen! Davon
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