Braig & Neundorf 11: Schwaben-Engel
wie er es von verschiedenen Internet-Präsentationen gewohnt war.
»Sie war wirklich eines seiner Vorzeige-Modelle«, meinte Dolde.
Braig nickte, sah ein neues Mädchen auf dem Monitor erscheinen. Marion, European Angel No. six. Er griff nach dem Aktenordner, bemerkte, dass die Reihenfolge identisch war. Julia, European Angel No. seven.
»Wie lange geht das so weiter?«, fragte er. »Werden jetzt alle hundert Engel …« Er wurde vom lauten Schimpfen einer weiblichen Stimme unterbrochen, schaute überrascht auf.
Zuerst die wütend keifende Frau, dann die besänftigend klingende Antwort eines Mannes, anschließend wieder die weibliche Stimme. Ein heftiger Disput schien entbrannt zu sein. Er blickte in die Richtung der Haustür, von der der Lärm kam, hatte die Worte der Frau jetzt deutlich im Ohr.
»Was haben Sie hier zu suchen? Wo ist Herr Meisner?« Ihre Empörung war nicht zu überhören. »Ich verlange eine Erklärung!«
Braig löste sich vom Bildschirm, lief zur Diele. Er sah die beiden Kampfhähne schon von weitem. Markus Schöffler, einer der alten Routiniers der Spurensicherung mit abwehrend erhobenen Händen im Inneren des Hauses, eine etwa 40 Jahre alte Frau in einem vornehmen dunkelgrauen Hosenanzug, der ihre kräftige Figur vorteilhaft zur Geltung kommen ließ, wutschnaubend wie eine Rachegöttin keinen halben Meter von ihm entfernt.
»Wir sind von der Polizei«, hörte Braig den Kollegen gerade erklären.
»Polizei?«, tönte die Antwort. »Dass ich nicht lache!«
Er griff in seine Jacke, zog seinen Ausweis, streckte ihn der Frau entgegen. »Braig«, sagte er, »vom Landeskriminalamt. Das ist mein Kollege Schöffler. Darf ich wissen, was Sie von Herrn Meisner wünschen?«
»Was ich hier wünsche?« Das Gesicht der Frau war dunkelrot angelaufen. »Das ist mein Büro«, brach es heftig aus ihr hervor. Sie streckte ihren Arm in die Richtung, aus der Braig gerade gekommen war, schrammte mit ihrer Hand haarscharf an seiner Wange vorbei.
Er trat einen halben Schritt nach rechts, um ihr auszuweichen, sah, wie sie den Arm erschrocken zurückzog. »Sie arbeiten für Herrn Meisner?«, fragte er.
Sie nickte, schien sich langsam zu beruhigen. Die dunkelrote Farbe wich, die in Falten gelegte Stirn glättete sich zunehmend. Er musterte sie aufmerksam, sah das sorgsam, aber nur in Maßen aufgetragene Make-up, roch den feinen Duft, der von ihr ausging. Die Haare trug sie kurz, in brauner Tönung, unter der dunkelgrauen Jacke kam eine mit filigranen Stickereien verzierte weiße Bluse zum Vorschein. Alles in allem vermittelte die Frau einen Anschein von natürlichem Selbstbewusstsein und Seriosität, den er hier, in dieser Model-Agentur so nicht erwartet hatte. Vielleicht konnte sie ihnen helfen, das Versteck des Mannes aufzuspüren, falls sie nicht in allzu großer Loyalität für ihren Arbeitgeber gebunden war.
»Dürfte ich bitte Ihren Namen und Ihre berufliche Funktion wissen?«
Sie ließ einen lauten Seufzer hören, der wohl andeuten sollte, dass sie sich wider Willen in dieses eigentlich inakzeptable Spiel fügte, kam dann der Bitte ihres Gegenüber nach. »Regina Trefz. Ich arbeite für Meisners Famous Models.« Sie sprach den Namen der Agentur mit amerikanischem Akzent, vermittelte ihr so den Hauch von Weitläufigkeit und Sexappeal, der in dieser Branche wohl lebensnotwendig war.
»Sie sind für das Büro der Firma zuständig?«
»Wenn Sie das so ausdrücken wollen, ja.«
»Und wie viele Beschäftigte hat die Firma insgesamt?«
»Beschäftigte? Was soll die Frage? Wen wollen Sie hier groß beschäftigen? Herr Meisner und ich. Seine Frau ist vor fünf Jahren ausgeschieden.«
»Sie sind die einzige Arbeitskraft?«, fragte Braig überrascht.
Regina Trefz betrachtete ihn ausdruckslos, ohne jeden Kommentar.
»Sehe ich das richtig, dass die Tätigkeit der Firma in der Vermittlung von jungen Frauen für Werbeaufnahmen besteht?«
»Werbeaufnahmen?« Die Frau warf ihm einen geringschätzigen Blick zu. »Na ja, damit hat es mal angefangen. Das spielt heute nur noch eine Nebenrolle.«
»Und was ist die Hauptsache?«
»Castingshows«, sagte sie, wieder in jenem Tonfall, den Braig als amerikanischen Akzent deutete.
»Castingshows.« Er wiederholte ihre Antwort, überlegte, was sie wohl alles beinhaltete.
»Warum sprechen Sie nicht mit Herrn Meisner selbst, wenn Sie sich schon in seinem Haus aufhalten?«
Er sah sich aus seinen Überlegungen gerissen, suchte nach einer Antwort. »Er ist nicht da. Wir
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