Braig & Neundorf 12: Schwabenehre
Veterinär, »Sie haben ihm«, er deutete auf den Rücken eines großen, schlanken, mit einem hellen Anzug bekleideten Mannes, der wenige Meter von ihnen entfernt mit einem dicken Glatzkopf Small Talk hielt, »den Aufenthalt in einem Wellness-Hotel in Thailand bezahlt.«
»Wellness in Thailand«, nickte sein Gegenüber.
»Dafür, dass er Ihrer Firma den Auftrag für den Bau der Umgehungsstraße hat zukommen lassen.«
Der schweißgebadete Mann legte den Zeigefinger auf seine Lippen, murmelte ein verschwörerisches »Pschscht!«.
Braig hörte Dr. Genkingers: »Na ja, immerhin ist er ein großes Tier in seiner Partei. Der hat schon was zu sagen!«, sah, wie der große schlanke Mann sich umdrehte und zu ihnen herschaute. Er erkannte ihn auf den ersten Blick. Aus der Zeitung, aus dem Fernsehen, von den Plakaten.
»Aber denen reicht es ja nicht allein zur Macht«, fuhr der Tierarzt fort. »Die brauchen die anderen für die Mehrheit.«
Der Schweißgebadete winkte mit seiner Hand ab. »Das isch doch kein Brolem«, lallte er. »Haus im Tessin. Der wollte nisch na Thailand.«
»Ach so, der wollte kein Wellness-Hotel in Thailand. Der bevorzugte ein Ferienhaus in der Schweiz.«
»Genau. Haus im Tessin.«
Dr. Genkinger nahm das langstielige Sektglas des Schweißgebadeten, schenkte dem Mann aus einer dickbauchigen Flasche nach. Braig roch den scharfen Geruch hochprozentigen Alkohols, sah, wie der Tierarzt seinem Gegenüber zuprostete. Beide nahmen ihre Gläser an den Mund, der Schweißgebadete ein fast bis an den Rand gefülltes, der Veterinär ein vollkommen leeres, kippten den Inhalt mit einem kräftigen Schluck.
»Und die andere Straße?«, fragte Dr. Genkinger. »Die, gegen die sich alle Anwohner so heftig wehrten? Wie haben Sie das geschafft?«
Der Schweißgebadete beugte sich verschwörerisch nach vorne, ließ einen lauten Rülpser hören, legte dem Veterinär vertrauensselig die Hand auf die Schulter. »Ein neuer Daimler«, lallte er dann. »Für seine Geliebte!«
»Ein einziger Daimler?«
»Nein!« Der Mann wedelte abwehrend mit seiner freien Hand durch die Luft, zeigte dann auf den Rücken des dicken Glatzkopfs. »Für jeden einen. Das sind zwei«, hauchte er, zur Verdeutlichung zwei Finger in die Luft streckend, »zwei Parteien. Also auch zwei Daimler. Zwei Daimler und dann noch extra zwei Nutten. Für jeden eine! Aber pschscht!«
Im selben Moment drehten sich die beiden Männer um und starrten zu ihnen her. Braig kamen sie vor wie zwei alte Bekannte. Kein Wunder, überlegte er, ich sehe sie ja täglich. Wenn nicht im Fernsehen, dann in der Zeitung. Und noch dazu auf unzähligen Plakaten.
29. Kapitel
Das Haus der Jungs lag unweit des Ortseingangs von Spraitbach, dort wo die Bundesstraße von Gmünd nach Gaildorf mit ihrem nervenden Lärmpegel die ländliche Idylle der reizvollen Umgebung über weite Strecken des Tages vergessen ließ. Neundorf musste nicht lange warten, wurde von einer etwa fünfzigjährigen, mit einer schwarzen Weste und dunklen Hosen bekleideten Frau in die Wohnung gebeten, nachdem sie ihr ihren Dienstausweis gezeigt und sich vorgestellt hatte.
»Marliese Jung, ich bin Annikas Mutter.«
»Wie geht es Ihrer Tochter?«
»Vor zehn Minuten ungefähr ist sie aufgewacht. Sie hat den ganzen Mittag geschlafen. Der Arzt hat ihr heute Morgen noch einmal etwas verabreicht. Jetzt sitzt sie bei uns. Michaels Eltern und sein Bruder sind da.«
Sie führte sie durch eine schmale Diele in einen großen, von mehreren Menschen bevölkerten Raum. Kerzen brannten, ein kleines, mit einer schwarzen Schleife geschmücktes Foto lehnte mitten auf dem Tisch. Neundorf musste nicht lange überlegen, begriff sofort, wen sie vor sich hatte – die Ähnlichkeit mit dem gut aussehenden jungen Mann auf dem Passbild war nicht zu übersehen.
»Familie Napf«, erklärte ihre Gastgeberin, auf die beiden Männer und die Frau auf dem Sofa deutend, »und das sind Annika und mein Mann.«
Neundorf grüßte laut, trat vor die Eltern des Ermordeten, nannte ihren Namen, fügte »Landeskriminalamt« hinzu, reichte der Frau die Hand, verbeugte sich. »Mein aufrichtiges Beileid. Ich kann mir vorstellen, wie elend Ihnen zu Mute ist. Ich wünsche Ihnen viel Kraft.« Sie sah, wie ihrem Gegenüber die Tränen aus den Augen schossen, drückte die Frau impulsiv an sich, schlang beide Arme um sie.
»Es ist so völlig unbegreiflich«, meinte ihr Ehemann, von den gleichen Gesichtszügen wie seine Söhne gezeichnet. Nur die blonden
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