Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht. Und wenn er mal was unternimmt, dann erzählt er es allen schon Wochen vorher. Normalerweise weiß das die halbe Belegschaft, wenn Gruber sich einen Kurztrip gönnt. Und sei es, dass er nur nach Tübingen fährt und sich dort einen Kneipenbummel erlaubt. Dass er sich so unangekündigt davongemacht hat, ist wirklich außergewöhnlich. Keine Ahnung, wieso.«
21. Kapitel
Den Mann zur Fahndung ausschreiben?
Wenn Gruber mal was unternehme, dann erzähle er allen schon Wochen vorher davon. Normalerweise wisse das die halbe Belegschaft, wenn Gruber sich einen Kurztrip gönne. Dass er sich so unangekündigt davongemacht habe, sei wirklich außergewöhnlich, hatten Brinkle und Klopfer sinngemäß gleichermaßen formuliert.
Drei Mal waren verdorbene Maultaschen ausgeliefert worden, zwei Mal davon durch Joachim Gruber. Alles nur Zufall?
Warum war der Mann plötzlich so schnell verschwunden? Weil er mitbekommen hatte, dass Fitterling doch die Polizei zu Rate gezogen hatte und jetzt seine Entlarvung fürchtete? Alles deutete in diese Richtung, folgte man den Worten seiner Kollegen.
Braig war am Samstagabend kurz vor siebzehn Uhr aus Reutlingen zurückgekehrt, zu müde, um sich weiter mit seinen Ermittlungen auseinanderzusetzen, aber noch rechtzeitig genug, um an der Demonstration teilzunehmen. Er hatte in seinem Büro eine kurze Zusammenfassung der Tagesergebnisse verfasst und diese Neundorf und dem Staatsanwalt gemailt, jede Aktion, Joachim Gruber aufzugreifen, vorerst aber unterlassen. Wenn sie Glück hatten, würde der Mann spätestens am Montagmorgen wieder an seinem Arbeitsplatz auftauchen, sich krank gemeldet oder Urlaub eingereicht hatte er nach Braigs ausdrücklicher Nachfrage nämlich nicht.
Der abendliche Marsch durch die Stuttgarter Innenstadt war eine der beeindruckendsten Veranstaltungen, die Braig je erlebt hatte. Er war mit seiner Lebensgefährtin und ihrer im Kinderwagen mitgeführten Tochter gemeinsam mit Dr. Genkinger zum Hauptbahnhof aufgebrochen, hatte sich dann in die immer weiter anschwellende Menschenmenge gemischt. Junge und Alte, Frauen und Männer, Leute in Jeans, mit Pearcings und in kurzen Hosen genauso wie gesetzte Herren in Anzug und Krawatte und gepflegt gekleidete Damen – das gesamte Spektrum der Bevölkerung war auf den Beinen. Über 50.000 Menschen liefen, Kerzen, Plakate in den Händen, Trillerpfeifen im Mund, friedlich durch die Straßen.
Wie aber hatte sich der Oberbürgermeister der Stadt noch am Vortag zur großen Begeisterung eines Teils der Medien in einem »offenen Brief« geäußert? Er warne die für die Demonstrationen Verantwortlichen vor der zunehmenden Aggression und Gewalt, die in der Stadt ständig um sich greife.
Braig sah sich um, betrachtete die radikalen Gewalttäter, die Unholde und Verbrecher um sich herum. Hinter ihm eine ältere Frau, die ihn stark an seine verstorbene Oma erinnerte, Hand in Hand mit zwei jungen Männern. Eine Reihe weiter eine junge Familie, Mutter, Tochter, Sohn und Vater. Gleich daneben eine Frau im Rollstuhl, geschoben von einem jüngeren Mann. Ein Stück weiter drei Mädchen, von Vater und Mutter flankiert. Neben ihm seine Lebensgefährtin, ihre gemeinsame Tochter vor sich im Kinderwagen, im eifrigen Gespräch mit ihrem Vermieter.
In welchem Land lebte dieser Oberindianer eigentlich, überlegte er. Hat der jemals einen Fuß in seine Stadt gesetzt?
Auch bei Theresa Räubers Besuch am Sonntagnachmittag hatten sie sich eingehend über die Demonstrationen unterhalten.
»Ich fand es wunderbar gestern wieder. Diese friedliche Stimmung, trotz aller Verbitterung über diese selbstherrliche Bande. Das Zusammensein so vieler völlig verschiedener Menschen. Ein einmaliges Erlebnis. Heute Morgen stellte ich es in den Mittelpunkt meiner Predigt.«
»Vor mir lief eine alte Frau«, berichtete Ann-Katrin, »ihre Tochter und ihre beiden Enkel an der Hand. Ihr Mann sei leider verstorben, sonst wäre der garantiert auch dabei. Sie wohnen in Göppingen, sind eigens wegen der Demonstration nach Stuttgart gefahren. Der Zug war voll, erzählte die Frau, bis auf den letzten Platz, fast alle hatten Plakate oder Transparente dabei. Es sei zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie zu einer Demonstration gegangen und gegen die Großkotzigen da oben losgezogen sei. Wir hätten alle viel zu lange gewartet, es sei höchste Zeit, dass sich noch viel mehr Menschen bei den Protesten beteiligen.«
»Und wo war deine
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