Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
erwiesen, mit der Zeit jedoch hatte sich eines dieser angeblichen Vorurteile nach dem anderen als weitgehend korrekt herausgestellt. Jawohl, Söderhofer war einer von Kochs eifrigsten Speichelleckern, einer seiner ungeniertesten Zuträger, Braig hatte es anlässlich zweier verschiedener Untersuchungen selbst erlebt. Jawohl, Söderhofer war von unglaublichem Ehrgeiz getrieben, wenn es sein musste, Tag und Nacht im Einsatz, im Gegensatz zu seinen Kollegen fast jede von ihm betreute Untersuchung akribisch verfolgend, der Kommissar hatte das wie seine Kollegin zur Genüge während mehrerer Ermittlungen über sich ergehen lassen müssen. Was, um alles in der Welt, hatte er sich in solchen Momenten immer wieder gefragt, veranlasste den Staatsanwalt, sich überall so ins Abseits zu stellen, die Antipathien, die Wut und die Verachtung derer zu entfachen, die mit ihm zu tun hatten?
Er wusste es nicht, fand keine Antwort auf diese Frage. Ehrgeiz, bis zum Wahn gesteigertes Verlangen, emporzukommen, Karriere zu machen, es allen zu zeigen – und sei es auch um den Preis völliger Isolierung, jeden Verlustes normaler menschlicher Beziehungen? Oder die Gier, sich abzuheben aus der Masse, aufgenommen zu werden in den elitären Zirkel derer, die – jedem demokratischen Gedanken abhold – längst damit beschäftigt waren, das Wohl und Wehe dieser Gesellschaft zu bestimmen, die Entwicklung in andere, ihren eigenen Interessen dienlichere Bahnen zu lenken?
Braig kam nicht dazu, weiter über Söderhofers absonderliches Verhalten zu sinnieren, sah sich von dessen: »Wie geht es Ihrem Sohn?«, in die Realität zurückgeholt. Die Zeiten, in denen ihn die verqueren Fragen des Staatsanwalts nach seinen persönlichen Verhältnissen in irritierende Grübeleien zu versetzen vermochten, waren zum Glück vorbei. Für Söderhofer schien es als Nachwuchs nur Angehörige des männlichen Geschlechts zu geben, soviel hatte er inzwischen begriffen. Dass er seit über einem Jahr glücklicher Vater eines gesunden Mädchens war, überforderte offensichtlich die intellektuelle Speicherkapazität des Staatsanwalts.
»Unserer Tochter geht es gut«, erwiderte er mit kräftiger Stimme, mehrere Deut lauter als sonst. Vielleicht halfen die zusätzlichen Dezibel den kognitiven Fähigkeiten seines Gesprächspartners auf die Sprünge. »Danke der Nachfrage.“ Dass er wieder einmal wenig geschlafen, ebenso wie seine Partnerin Ann-Katrin mehrfach in der Nacht von den Schreien der Kleinen aufgeweckt worden war, wozu sollte er es hier offen legen?
Er sah, dass Söderhofer sich von ihm abgewandt hatte und in die Richtung der offenen Türen schielte, hörte das kräftige Räuspern des Sanitäters. »Verzeihung, aber ich sollte …« Der Mann hatte Mühe, die breite Gestalt des Staatsanwalts zu passieren, schob sich gerade an ihm vorbei, als Rössle in der Diele auftauchte, die beiden Neuankömmlinge mit kritischer Miene musternd.
»Alle Idiote von Sindelfinge, dürft i die Herre bitte, Schutzkleidung azulege?«, maulte der Techniker. »Oder wellet Sie die Spuresicherung selbscht übernehme?«
Der Sanitäter räusperte sich verlegen. »Tut mir leid, aber ich wusste nicht …“
Rössle griff in eine Tasche seiner Arbeitshose, zog mehrere Plastiküberzüge vor, reichte sie den beiden Männern. »Über die Händ und die Schuh!« Er wartete, bis sie ihm Folge geleistet hatten, zeigte dann dem Sanitäter, wo das Opfer zu finden war. Der Mann stakste einem Storch ähnlich mit Riesenschritten zu dem Raum.
»Wie steht es mit der Investigation?«, fragte Söderhofer. »Feasibility-Studies sind präpariert?«
»Der Mann hat überlebt«, erklärte Braig. »Die Kollegen konnten ihn befreien. Es lag wohl keine Absicht vor, ihn zu töten. Es handelte sich eher um eine Art Folter. Er ist bei Bewusstsein, aber nicht ansprechbar.«
»Folter? Sie haben das Antezedens evaluiert?«
Der Kommissar kannte die gestelzte Ausdrucksweise seines Gegenüber, fühlte sich dennoch genervt. Söderhofer evaluierte und investigierte den halben Tag, warf mit sämtlichen Fremdworten um sich, die in Managementberatungskursen als gerade angesagtes Vokabular angepriesen wurden. Ob sich ihm ihr korrekter Sinn auch nur annähernd erschloss, wagte nicht nur Braig zu bezweifeln. Wahrscheinlich war dem Mann nicht einmal bewusst, wie sehr er mit seinem elitären Gehabe alle nervte, die beruflich mit ihm zu tun hatten.
»Quos deus perdere vult, dementat prius.« Rössles kräftige Stimme riss ihn aus
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