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Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Titel: Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Weitergabe des elterlichen Vermögens führte über die Dezennien hinweg zu einer starken Aufsplitterung des landwirtschaftlich nutzbaren Landes und somit der einer einzelnen Familie zur Verfügung stehenden Fläche. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts geriet diese Kombination widriger Bedingungen für den Großteil der Bevölkerung der Schwäbischen Alb zur wirtschaftlichen Katastrophe.
    Auslöser des sozialen Desasters war eine kurzfristige Klimaveränderung auf der nördlichen Erdhalbkugel, verursacht vom Ausbruch des Vulkans Krakatau in Indonesien. Was am anderen Ende der Welt geschah, sollte um des bloßen Überlebens willen Monate und Jahre darauf Hunderttausende von Menschen aus ihrer angestammten Heimat vertreiben. Die durch die Erdrotation ausgelöste starke Westwindströmung verteilte die vom Krakatau über Tage hinweg eruptierten Aschemassen über weite Partien der Nordhalbkugel. Innerhalb weniger Wochen bildete sich in der Stratosphäre so ein dichter Gürtel feinster Partikel, der die Sonneneinstrahlung drastisch verminderte. Deutlich reduzierte Temperaturen waren die Folge. Im Jahr 1816 fiel der Sommer deshalb in weiten Teilen Europas regelrecht aus. Regen ohne Ende, begleitet von winterlich niedrigen Celsius-Graden verhinderten in den höher gelegenen Regionen das Wachsen und Reifen der Pflanzen. Im Bereich der Alb konnte die überaus bescheidene Ernte in diesem Jahr meist erst in den Wochen vor Weihnachten eingeholt werden. Am Heiligabend hat man die Hafergarben in Freudenweiler auf dem Schlitten heimgeführt, in Mägerkingen sogar erst am Tag vor Heilige Drei König, schrieb ein Gammertinger Zeitzeuge.
    Ganze Landstriche der Schwäbischen Alb verarmten in diesen Jahren, unzählige Menschen starben infolge mangelhafter Ernährung, im Volksmund »Hungertyphus« genannt. Soziales Elend und materielle Not wurden zum prägenden Kennzeichen des Alltags dieser Zeit. Katastrophale Missernten Mitte der vierziger Jahre bereiteten schließlich – zumindest als einer von vielen Faktoren – den Boden der Revolution von 1848. In Ulm und vielen anderen Regionen kämpften die Ärmsten der Armen in Aufsehen erregenden »Brotkrawallen« buchstäblich um die zum Überleben notwendigen Brosamen.
    Heil erhofften sich viele damals nicht nur in der grundlegenden Veränderung der politischen Strukturen, sondern auch in der Religion. Gerade auf der Alb versuchten religiöse Eiferer beider Konfessionen Kapital aus der Situation zu schlagen, indem sie den verderblichen Lebenswandel vieler Zeitgenossen – sprich: die trotz aller Not immer noch verbliebene Lust am Leben – zur eigentlichen Ursache der Katastrophe erklärten. Besonders begabte Fanatiker der Religion der Liebe schreckten auch nicht davor zurück, den Hunger- und Erschöpfungstod unzähliger Kinder als exclusives Geschenk Gottes zu interpretieren: Blieben den früh verstorbenen Seelen so doch alle lustvollen Verlockungen des irdischen Jammertals erspart, der direkte Weg in den Himmel dafür weit offen.
    Das materielle Elend führte zu einer der gewaltigsten Auswanderungsbewegungen in der Geschichte der Region: Allein in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor das Königreich Württemberg über 100.000 Menschen in die Emigration, ein großer Teil von der Alb stammend. Regionen rund ums Schwarze Meer wurden genauso wie Nordamerika zu ihrem gelobten Land – sofern sie diese Ziele erreichten und nicht unterwegs an Hunger oder Krankheiten starben.
    Erst der Bau der schwäbischen Eisenbahnen brachte die große Wende. Unermüdlich angespornt von dem Reutlinger Friedrich List wurde die Alb auf der berühmten Geislinger Steige 1850 erstmals von dem neuen Verkehrsmittel erklommen. 1864 folgte der Bahnanschluss Königsbronns und Heidenheims, 1874 die Verbindung nach Balingen. Bis 1901 überwanden sieben verschiedene Bahnstrecken das teilweise recht unwegsame Gebirge und legten somit die Grundlage zum großmaßstäblichen Abtransport der auf der Alb verarbeiteten Produkte und der daraus folgenden Expansion vieler ursprünglich familiärer Manufakturen und Kleinstbetriebe.
    Die jetzt einsetzende industrielle Revolution in der Region basierte primär auf dem Abbau und der Verarbeitung der Erze rund um Königsbronn und im Laucherttal und der Veredelung der von unzähligen Schafherden gewonnenen Wolle. Betriebe der Metall- und vor allem der Textilindustrie schossen überall auf der Alb aus dem Boden, in der überwiegenden Mehrzahl auf privates und familiäres Engagement

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