Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
höher. Die Straße verläuft hier und zwar nur genau hier exponiert über einem fast senkrecht abfallenden Felsen. Davor und dahinter taucht sie in den Wald. Von der Fahrbahn abzukommen ist zwar überall gefährlich, an diesem kurzen Abschnitt aber garantiert tödlich. Und genau hier fanden wir die Bremsspuren eines PKW sowie Lackpartikel von Fitterlings Auto und einem bisher noch unbekannten Fahrzeug, beides über mehrere Meter hinweg von der Mitte der Straße fast bis zum Rand, nur noch ein kleines Stück vom Abgrund entfernt. Der Mann wurde gewaltsam abgedrängt, daran gibt es keinen Zweifel.«
»Verfügen Sie schon über Hinweise auf das Tatfahrzeug oder den Täter?«
»Was denken Sie, nein! Die Ergebnisse der Untersuchung liegen uns erst seit wenigen Minuten vor. Wir wollten sie gerade ans LKA weiterleiten und um Ihre Unterstützung bitten.«
Braig hatte sofort versprochen, sich der Sache anzunehmen. Er war mit dem Beamten übereingekommen, mit dem nächsten Zug nach Hechingen zu fahren und sich dort von einem Kollegen abholen zu lassen. Er hatte sich sämtliche im Internet verfügbaren Informationen über Fitterlings Maultaschenfabrikation sowie deren Besitzer ausdrucken lassen, anschließend Neundorf in aller Kürze über die neueste Entwicklung in Kenntnis gesetzt. Danach war er auf dem schnellsten Weg zum Cannstatter Bahnhof marschiert.
Die Hitze der vergangenen Tage hatte nachgelassen, der Himmel war hinter einem dünnen Wolkenschleier verschwunden. Ab und an hatte Braig ein paar Tropfen auf seiner Haut gespürt. Der Zug war mit einigen Minuten Verspätung in Cannstatt eingefahren, wie so oft, seit sie begonnen hatten, den Stuttgarter Hauptbahnhof auf die Hälfte seiner Gleise zurückzubauen. Allen Versprechen zum Trotz, der Bau würde den normalen Betrieb nicht tangieren, verursachten die Maßnahmen alle paar Tage gravierende Verspätungen. Sogar ein Teil des S-Bahn-Verkehrs musste auf unabsehbare Zeit eingestellt werden, ein Desaster für viele Pendler. Voller Wut erinnerte sich Braig an den Kommentar eines der politisch Verantwortlichen: »Dann sollet die Leut halt ein Zug früher fahre.«
Er nahm im Oberdeck eines der doppelstöckigen Wagen Platz und vertiefte sich in die Unterlagen über Fitterlings Maultaschenfabrikation. Das Unternehmen war größer, als er vermutet hatte, gab es den Erklärungen nach doch zweiunddreißig, meist allerdings in Teilzeit beschäftigten Personen Arbeit, überwiegend Frauen. Neben der kleinen Fabrik in Geigelfingen verfügte die Firma über eigene Verkaufsstellen in mehreren Städten.
Braig betrachtete die Bilder der Teigwarenproduktion sowie der angebotenen Maultaschensorten, erkannte die in der Badewanne aufgefundene Form nach kurzem Nachdenken wieder. Wie Rössle es erklärt hatte: Es schien sich bei dem gestern Morgen in Esslingen in großer Menge verwendeten Material tatsächlich um die Erzeugnisse der Firma Fitterling zu handeln. Und jetzt war am Abend desselben Tages, sofern er sich auf die Informationen der Kollegen verlassen konnte, der Besitzer genau dieses Unternehmens ermordet worden. Von ein und demselben Täter?
Er war gerade dabei, die Entfernung der beiden Tatorte: Esslingen – Geigelfinger Steige abzuschätzen – keine hundert Kilometer, also sehr gut im Bereich des Machbaren –, als er das laute Lachen wahrnahm. Eine Gruppe gut gelaunter, mit Rucksäcken und Sporttaschen ausgestatteter Reisender hatte in Esslingen in den Sitzgruppen um ihn herum Platz genommen, zwei Sektflaschen samt Gläsern sowie bunte, mit blühenden Blumen bedruckte Pappteller und kleine, silberne Gabeln aus ihren Gepäckstücken schälend. Er blickte auf, sah die Mienen der Leute erwartungsvoll auf einen kräftigen Mann mittleren Alters gerichtet, der einen großen, runden Tortenbehälter aus durchsichtigem Kunststoff zum Vorschein brachte. Begeisterte Rufe und heftiges Klatschen begleiteten seinen Versuch, den Deckel ohne Beschädigung des Inhalts abzunehmen. Braig entdeckte eine üppig mit Sahne und Früchten bestückte Schwarzwälder Kirschtorte, hatte im gleichen Moment den wohlriechenden, appetitanregenden Duft des Backwerks in seiner Nase. Der Mann hielt die Torte vorsichtig in die Höhe, präsentierte sie der ganzen Gruppe, von mannigfachem Lob begleitet.
»Ui, des sieht ja wunderbar aus! Da hasch dir aber a Müh gebe!«
»So was Gutes gibt’s net alle Tag. Und die hasch wirklich ganz allein backe?«
»Also, mei Sabine isch mir schon mit Rat und Tat zur Seit
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