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Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer

Titel: Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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an verschiedenen Stellen unzählige, in Schlangenlinien verlaufende Wege und Straßen in die steil emporragenden Felsen geschlagen worden. Diese serpentinenreichen Anstiege trugen im Volksmund die Bezeichnung »Steige«. Ihr bekanntestes Exemplar war die bereits im Jahr 1850 gebaute Geislinger Steige, mittels derer die Bahn das Gebirge auf ihrem Weg von Stuttgart nach Ulm überwand.
    Kaum weniger beeindruckend erklomm die Honauer Steige von Pfullingen aus direkt unter dem auf einem steilen Felsen thronenden Schlösschen Lichtenstein bei Traifelberg die Hochfläche der Alb, eine der traumhaftesten Silhouetten, die Braig je gesehen hatte. Seit ein paar Jahren waren ihm auch die exklusiven Ausblicke bekannt, die die nach Genkingen in die Höhe führende Gönninger Steige in den wärmeren Monaten bot: Nur allzu gut erinnerte er sich an die gemeinsam mit Freunden unternommene Radtour diese Serpentinenstrecke abwärts, als ihnen mehrere bergwärts parkende, mit Fotos und Ferngläsern in die Tiefe starrende Autofahrer aufgefallen waren. Deren seltsames Verhalten hatte sich ihnen erst erschlossen, als sie ihre Räder abgestellt und die von unzähligen nackten Frauen und Männern bevölkerten Wiesen und Badeseen unmittelbar unterhalb des Abhangs entdeckt hatten.
    Derlei frivole Gedanken wichen jetzt aber sehr schnell aus seinem Sinn, als sie sich der von mehreren Polizeifahrzeugen in aller Eile errichteten Absperrungen und patrouillierenden Beamten gesicherten Geigelfinger Steige näherten. Er hatte den Kollegen gebeten, ihn die Stelle, an der das Auto des getöteten Mannes von der Fahrbahn abgedrängt worden war, selbst in Augenschein nehmen zu lassen, stieg wenige Meter vorher aus dem Wagen. Die Straße war an diesem Abschnitt vollkommen abgeriegelt, der Verkehr immer noch unterbrochen. Geigelfingen zu erreichen, war zu dieser Stunde – jedenfalls für Normalsterbliche – nur von Süden her möglich.
    Braig trat auf die Fahrbahn, fröstelte leicht angesichts der frischen Luft, die hier in einer kräftigen Brise von der Hochfläche strich. An die sieben, acht Grad kühler als in Stuttgart, überlegte er, unerträglich heiße Sommertage waren auf der Alb fast unbekannt. Er grüßte zwei uniformierte Beamte, die gerade dabei waren, eine quer über die Straße gezogene Absperrung abzubauen, sah sich augenblicklich von der landschaftlichen Szenerie in den Bann gezogen.
    Auf der Rechten eine mächtige, fast senkrecht in die Höhe ragende, bedrohlich wirkende Felswand, ab und an von kleinen, meist vom Wind verformten und verkrüppelten Büschen und Bäumen bewachsen, links, unmittelbar neben der Straße, nur von einem winzigen, vielleicht dreißig Zentimeter hohen Steinmäuerchen abgetrennt, der gähnende Abgrund. Gut und gerne hundert bis hundertzwanzig Meter Steilabfall bis zum nächsten, von einem schmalen Wald bewachsenen Vorsprung, wie er sich mit einem vorsichtigen Blick in die Tiefe selbst überzeugte. Er sah die völlig verformten Überreste eines kleinen Autos vor einem der Bäume liegen, spürte den leichten Schwindel. Nein, da gab es keinerlei Überlebenschancen, war ihm sofort klar, nicht nach einem Sturz aus dieser Höhe. Jeder, der hier von der Straße abkam, wusste, welches Schicksal ihn erwartete.
    Der Schwindel wurde stärker, zwang ihn, vom Rand der Straße zurückzutreten. Er schaute sich um, sah Geuckler winken. Braig lief an einem der Männer vorbei, die die Fahrbahn mit einem Besen säuberten, entdeckte die Abdrücke, auf die sein Begleiter deutete.
    »Hier«, sagte der Beamte, »da wurde er abgedrängt.«
    Braig starrte auf den Asphalt, wusste sofort, was er da vor sich hatte. Bremsspuren, auffallend breite, etwa zwanzig Zentimeter lange, im Abstand von fast zwei Metern parallel verlaufende, schwarze Verfärbungen des Asphalts, wie er sie schon oft an Unfallorten gesehen hatte. Was auffiel, war ihre Ausrichtung: Sie verliefen völlig untypisch nicht mit dem normalen Verkehrsstrom, sondern zum äußeren Rand der Fahrbahn hin.
    »Da hatte es tatsächlich jemand auf den Mann abgesehen«, konstatierte Braig. Er ging in die Hocke, suchte die Straße nach weiteren Spuren ab, erkundigte sich nach den aufgefundenen Lackpartikeln. »Das Material wird untersucht?«
    Geuckler winkte einem der uniformierten Beamten, wiederholte die Frage.
    »Unsere Spurensicherer haben alles aufgenommen«, erklärte der Kollege. »Ich nehme an, die sind unterwegs ins Labor.«
    »Das sieht nach außergewöhnlich breiten Reifen aus.

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