Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
kann es nicht fassen, was ihm passiert ist.«
»Er war nicht mit Ihrem Projekt einverstanden«, wiederholte die Kommissarin.
Die junge Frau schien in Gedanken versunken, benötigte mehrere Sekunden, zu einer Antwort zu finden. »Nein, er ist strikt dagegen.«
»Weshalb?«
»Er will die Firma verkaufen. Das Angebot des großen Konzerns. Die bieten mehrere Millionen, wir haben vorhin darüber gesprochen.«
»Klingt nachvollziehbar.« Neundorf musterte die Miene der jungen Frau, bemerkte deren Zögern. »Oder finden Sie nicht?«
Kerstin Svedholm fuhr sich über die Haare, warf den Kopf zurück. »Auf den ersten Blick vielleicht, ja.«
»Nur auf den ersten Blick?«
»Denke an die Arbeitsplätze. Fitterling beschäftigt über dreißig Menschen, viele davon auf der Alb. Da gibt es nur wenige Alternativen, Beschäftigung zu finden. Wenn Fitterlings verkaufen, gehen die meisten Arbeitsplätze verloren, machen wir uns nichts vor. Fast alle. Michael fühlt sich für seine Angestellten verantwortlich.«
»Das glauben Sie doch nicht wirklich. Er verzichtet auf die Millionen, die ihm der Konzern bietet, weil er um die Arbeitsplätze seiner Angestellten fürchtet, und geht stattdessen das Risiko ein, mit dem neuen Projekt zu scheitern? Noch wissen Sie nicht, ob es auf Dauer wirklich funktioniert. Zwei Wochen reichen nicht, das endgültig zu beurteilen.« Neundorf schüttelte vehement ihren Kopf, fügte ein spöttisches: »Was für ein guter Mensch, dieser Herr Fitterling!«, hinzu.
Kerstin Svedholm hielt die Hand vor den Mund, hustete. »Es gibt einen weiteren Punkt. Er möchte die Firma seiner Eltern nicht gerade so aufgeben.« Sie schien von den Worten der Kommissarin unbeeindruckt.
Neundorf legte ihre Stirn in Falten, betrachtete ihr Gegenüber mit skeptischem Blick. »Das klingt alles nach einer Seifenoper oder einem romantischen Film. Die Realität sieht doch anders aus.«
»Das mag sein. Ich glaube ihm trotzdem. Er hält viel von Tradition und der Verantwortung eines Unternehmers.«
»Und deswegen lässt er die Millionen sausen?« Die Kommissarin brachte ihre Skepsis kopfschüttelnd zum Ausdruck.
»Kommt hinzu, dass er kein Vertrauen in diesen Konzern hat. Er fürchtet …« Die junge Frau verstummte, wandte ihren Blick zur Seite.
»Was fürchtet er?«, verlangte Neundorf nach einer Erklärung.
»Darüber musst du mit Herrn Fitterling persönlich sprechen.«
»Ich möchte es aber von Ihnen hören.«
Kerstin Svedholm schaute auf den Monitor ihres Computers. »Das sind vertrauliche Firmeninterna. Ich weiß nicht einmal, inwieweit sie wirklich korrekt oder nur Spekulationen sind. Du musst mit ihm sprechen, ich kann nichts sagen.«
»Das werden wir tun«, erklärte die Kommissarin. »Ich habe aber noch eine Frage an Sie: Wie gut kannten Sie Christian Fitterling?«
»Christian?«
Braig trank den Rest seines Kaffees, sah den erstaunten Blick der jungen Frau.
»Christian, genau«, wiederholte Neundorf.
Kerstin Svedholm hielt nicht lange mit ihrer Antwort zurück. »Wir hatten eine kurze Beziehung«, sagte sie.
»Wann war das?«
»Vor vier Monaten. Im April.«
»Und danach?«
»Nichts mehr. Warum fragst du?«
»Na ja, finden Sie das nicht etwas seltsam?«, erwiderte die Kommissarin. »Mit Michael Fitterling arbeiten Sie zusammen, mit seinem Bruder …«
»… habe ich eine Affäre, willst du sagen?« Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Was ist daran seltsam? Im März begann unser gemeinsames Projekt. Michael Fitterling ist der Vertragspartner, Christian kümmerte sich nicht darum, er will ja verkaufen. Ich war mehrmals in der Firma in Geigelfingen, da lernte ich ihn kennen. Christian, meine ich. Er …«, sie hielt einen Moment inne, suchte nach den richtigen Worten. »Er machte mir von Anfang an den Hof, so drückt man das wohl aus, denke ich, und, na ja, er war sehr charmant. Das muss ich sagen.«
»Aber er wollte die Firma trotzdem verkaufen und nicht das gemeinsame Projekt verwirklichen? Ist das nicht seltsam, ich meine, wo Sie und er …«
Kerstin Svedholm nahm den Gedanken sofort auf. »Es war nur eine kurze Affäre, mehr nicht. Christian ist hinter jedem Rock her, ich habe ihm nicht viel bedeutet. Eine weitere Eroberung, eine von vielen. Ich denke, so beschreibe ich das richtig. Warum soll er deshalb seinen Plan aufgeben? Er ist ein Lebemann, diesen Ausdruck gibt es, ja?« Sie sah das zustimmende Nicken ihrer Gesprächspartner, vervollständigte ihre Aussage. »Christian benötigt Geld, viel
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