Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
den letzten Jahren nur für alte Leute, für Omas und Opas, weil die es schon immer gekauft und gegessen haben, schon als sie noch jung waren. Nein, jetzt gibt es auch was für die Jungen. Spritzig, gagig, ein bisschen frech. Genau so ist unsere neue Kollektion, wenn ich sie mal so nennen darf. Seit zwei Wochen verkaufen wir sie, also nicht wir, sondern Herr Fitterling. Michael, um es genau zu sagen. Und weißt du, wie das Geschäft bisher läuft, jetzt, nach den ersten paar Tagen?« Die junge Frau strahlte übers ganze Gesicht, brachte den Inhalt ihrer Worte mit ihrer Körpersprache deutlich zum Ausdruck.
»Gut, ja?«, sagte Braig.
»Zweihundert Prozent höhere Bestellungen«, erklärte sie, »verstehst du, zweihundert Prozent!«
»Meinen Glückwunsch«, meinte er, »dann geht es mit der Firma wieder aufwärts.«
»Wenn wir es durchhalten, ja. Das Konzept schlägt ein, genau wie wir es uns gedacht haben. Wir verkaufen nicht mehr nur ›Fitterlings Hausgmachte‹, sondern auch ›Fitterlings Liebestäschle‹. Unsere neueste Kreation.«
»Liebestäschle?«, fragte Braig, erneut einen Blick auf den Monitor werfend, wo er den Begriff vorhin entdeckt hatte.
»Aphrodisiaka.« Kerstin Svedholm formulierte das Wort langsam, Buchstabe für Buchstabe. »Du weißt, was das bedeutet?«
Braig sah ihr spitzbübisches Grinsen, nickte. »Zur Liebe anregende Stoffe.«
»Richtig. Die gibt es jetzt bei Fitterlings zu kaufen. Und bald in ihrem Restaurant und anderen Lokalen zu essen. Vor allem am Abend. Zur Anregung. In einer großen Auswahl mit verschiedenen, wie sagt man, Geschmacksrichtungen, ja?«
Er bestätigte den Ausdruck, ließ sich den Sachverhalt genauer erklären.
»Wenn du heute gute Qualität verkaufen willst, die mehr kostet als die Industrieprodukte im Supermarkt, hast du zwei verschiedene Gruppen von Menschen, die als Kunden infrage kommen: Das eine sind die älteren Leute: Die legen Wert auf ein seriöses Angebot. Gute Qualität wie früher bei Mama, hergestellt nach den alten Rezepten, in den gleichen Größen, mit denselben Materialien, möglichst in einfacher, neutraler Verpackung, ohne bunte Aufkleber und laute Werbung. Diese Leute kaufen wie eh und je ›Fitterlings Hausgemachte‹. Sie zahlen dafür gerne mehr als für Massenprodukte, wissen aber, dass sie wie schon vor fünfundzwanzig Jahren gute Qualität erhalten. Leider aber werden diese Kunden immer älter. Immer mehr kommen ins Seniorenheim und sterben.«
Seniorenheim, überlegte Braig, war das die Verbindung zu Allmenger? Er merkte an Neundorfs angespannter Miene, mit der sie ihre Gesprächspartnerin musterte, dass ihr derselbe Gedanke durch den Kopf ging.
»Das ist das Problem der Firma Fitterling. Deshalb gehen die Umsätze zurück«, erklärte Kerstin Svedholm.
»Sie benötigen jüngere Kunden als Ersatz.«
Die junge Frau wischte sich über die Haare. »Jüngere Kunden, ja. Aber die kriegst du nicht mit den alten Methoden. Die jungen Leute sind von den Medien beeinflusst, vom Fernsehen, Radio, dem Internet. Die hören und sehen grelle Parolen, laute Sprüche, peppige Bilder. Da brauchst du andere Wege, die zu erreichen, da darfst du dich nicht verstecken, sonst sehen und hören die dich nicht. Wenn du die von der guten Qualität deiner Waren überzeugen willst, die du zu verkaufen hast, musst du laut schreien, sehr laut, oder eine gute Idee entwickeln, um sie als Kunde zu gewinnen. Fitterlings haben kein Geld, laut zu schreien, das können die großen Konzerne viel besser. So laut kannst du gar nicht krakeelen, so sagt man, ja?« Sie schaute sich um, sah das zustimmende Nicken ihrer Gesprächspartner. »So laut kannst du gar nicht krakeelen, um diese Konzerne zu überstimmen. Deswegen braucht Fitterling eine gute Idee.«
»Und das ist die Sache mit den Aphrodisiaka?«, fragte Neundorf, unterschwellige Zweifel in der Stimme.
»Wir haben lange überlegt, wie wir die jüngeren Leute ansprechen können, ohne dass es viel kostet. Maultaschen bunt färben, rot, grün, orange, blau? Das hat man schon mit Nudeln gemacht, Lebensmittelfarben dazu benutzt, ohne Gift. Aber was hat es gebracht? Manche Leute kaufen sie mal, die bunten Nudeln, an Fasching oder für eine Party, aber sonst? Außerdem wirken diese Farben auch nicht besonders gesund – rote oder orangefarbene Nudeln, da denkt fast jeder irgendwie an Gift, das kriegst du aus den Köpfen nicht raus. Also hat das keinen Sinn für die Maultaschen. Fitterlings bieten ja extra gesunde
Weitere Kostenlose Bücher