Braig & Neundorf 13: Schwaben-Sommer
zusammenzufassen. »Die ersten Drohungen kamen per Mail auf ihr Handy beziehungsweise auf das Ihres Bruders. Heute Morgen haben Sie zum ersten Mal eine schriftliche Mitteilung erhalten, ja?«
Michael Fitterling nickte, schob seinem Gegenüber mit zitternden Händen das Papier zu, das er der Schublade entnommen hatte. Es handelte sich um ein weißes, nur mit wenigen Sätzen beschriebenes Blatt im Format DIN-A4, dem Schriftbild nach zu urteilen an einem normalen Computer verfasst und ausgedruckt.
Das ist unsere letzte Warnung. Geben Sie endlich auf und verkaufen Sie die Firma. Oder wollen Sie auch das Schicksal Ihres Bruders erleiden? Die Polizei bleibt aus dem Spiel, das wäre tödlich! Da kennen wir keinen Spaß. Wir geben Ihnen 14 Tage, keine Sekunde mehr! Sie wissen, was zu tun ist. Unser Angebot liegt vor. Handeln Sie endlich!
Braig atmete kräftig durch, hatte Mühe, sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Der Text schien eindeutig, ließ keinerlei Interpretationszweifel zu. Es ging um den Verkauf der Maultaschenfabrik Fitterling, der erzwungen werden sollte …
Er versuchte, seine Überlegungen zu ordnen, war sich darüber klar, dass sie alle ihre bisherigen Ermittlungsergebnisse neu analysieren mussten. Alle, ohne Ausnahme. Denn so viel war jetzt schon klar. Erwies sich das Drohschreiben hier als authentisch, dann war Christian Fitterling nicht dem privaten Racheakt einer der von ihm misshandelten oder schäbig abgehalfterten Frauen zum Opfer gefallen, sondern einer skrupellosen Bande von Geschäftsleuten, denen der Erwerb der kleinen Maultaschenfabrik so wichtig war, dass sie dafür buchstäblich über Leichen gingen. Und, wie er hier mit eigenen Augen lesen konnte, nicht nur über eine Leiche, sondern, falls das notwendig war, auch über zwei.
»Was, was wollen Sie jetzt tun?« Fitterling hatte Mühe, den Satz korrekt zu formulieren.
»Wir müssen jetzt ruhig bleiben, das ist das Allerwichtigste. Nur nicht die Nerven verlieren, das wäre das Schlimmste.« Er musterte die Miene seines Gegenübers, sah dessen fahrig hin und her huschende Augen. »Ich kann Sie unter Polizeischutz stellen, wenn Sie das beruhigt.«
»Polizeischutz?«
»Ja. Kollegen von mir werden Sie begleiten. Rund um die Uhr, wenn Sie das wünschen.«
»Glauben Sie wirklich, das ist notwendig?«
»Wir müssen uns erst einmal mit diesem Papier befassen und die Mails überprüfen, die Sie und Ihr Bruder erhielten. Warum haben Sie uns nicht früher darüber informiert?«
»Warum?« Der Mann warf ihm einen gequälten Blick zu. »Wir, wir hatten Angst davor, dass die ganze Angelegenheit an die Öffentlichkeit kommt. Wenn so etwas erst in den Zeitungen steht … Verdorbene Maultaschen, wer will dann noch bei uns kaufen?«
»Verdorbene Maultaschen?«, fragte Braig überrascht. »Heißt das, die haben ihre Drohungen tatsächlich wahr gemacht?«
»Allerdings. Zwei Mal schon, und diese Woche haben wir erneut Reklamationen erhalten.«
»Reklamationen welcher Art?«
»In zwei verschiedenen Lieferungen waren wieder verdorbene Füllungen. Ich fuhr sofort hin, habe mich persönlich entschuldigt und eine Entschädigung gezahlt. Zum Glück waren es langjährige Kunden, deshalb riefen die sofort bei uns an und verständigten nicht Ihre Kollegen. Die Lebensmittelkontrolleure, meine ich.«
»Sie sind sich sicher, dass das mit der Erpressung zu tun hat? Kann es sich nicht um einen Produktionsfehler handeln?«
»Nein!« Fitterling schien zu gewohnter Selbstsicherheit zurückzufinden, donnerte mit der geschlossenen Faust auf den Schreibtisch. »Wissen Sie, was das für eine Füllung war? Das war kein Produktionsfehler, nein! Völlig verdorbenes Fleisch, Hunde- oder Katzenfutter, das tage- oder gar wochenlang vor sich hinrottete und dann in Teig gemischt wurde. Das stank grauenvoll. Ekelerregend! Zum Glück handelte es sich dieses Mal bei beiden Kunden um Altenheime. Die alten Leute, verzeihen Sie, das soll nicht abfällig sein, aber die haben ja zum Glück nicht mehr die besten Geschmacksnerven. Aber stellen Sie sich vor, es hätte wieder eines der von uns belieferten teuren Restaurants erwischt.«
»Das war schon der Fall?«
Fitterling holte tief Luft, fand nur schwer zu einer Antwort. Offensichtlich regte ihn die Sache doch noch zu sehr auf. »Also, das ist jetzt schon fünf oder sechs Wochen her. Zwei Feinschmeckerlokale wurden damit beliefert. Sie können sich nicht vorstellen, was danach los war. Ich habe alles versucht, zu retten, was zu
Weitere Kostenlose Bücher