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Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

Titel: Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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mit meiner Zunge im Mund fuhrwerkte, aber ich stoppte es
augenblicklich.
    Er betrachtete mich wie ein aufgespießtes Insekt, sagte
jedoch nichts, und bescherte somit den Dolmetschern die Pause, die wir alle
brauchten.
    Innerlich fasste ich zusammen: Wenn ich nicht an unpassenden
(und es gab keine passenden) Stellen loswieherte, beulte ich im Angesicht eines
bierernsten Schwulenführers meinen Mund anzüglich mit der Zunge aus. Sehr
schön.
    Ich zwang Bilder der ehemaligen DDR vor mein geistiges Auge,
um nicht von meinem eigenen blöden Grinsen überrollt zu werden.
    Als der nächste Redner begann – ich hörte ihm eine Minute
zu, sechzig Sekunden, in denen er mindestens zwanzigmal das Wort proud benutzte – erhob ich mich und marschierte zur Toilette.
    Der Schmerz war kaum noch zu ignorieren. Zeit, was dagegen
zu tun.
     
    Früher Abend im Herzen Bostons, der Stadt, die für
filmischen Unfug wie Straßen in Flammen herhalten musste.
    Ich hatte meinen eigenen Film, während ich durch die Straßen
zog, um eine Apotheke zu finden: Pochendes Inferno , ein
Fern-der-Heimat-Film, der vermutlich unter der Regie eines mies gelaunten Wes
Craven entstanden war.
    Das waren Schmerzen.
    Gerade wollte ich mich abhocken und die Arme hochreißen wie
Charlie Sheen in Platoon, als ich die Drogerie sah. Store Twentyfour. Grell
erleuchtet, riesig und etwas zu schreierisch in seiner Werbung für
Schmerzmittel.
    Die Gestalt an der Kasse wirkte weniger wie ein Apotheker
als einer dieser Typen, die in Dortmund »Uschi ich libe dich«  an Häuserwände
sprühen, aber er schien trotzdem seltsam kompetent.
    »Ich habe Zahnschmerzen. Abend.«
    Seine Miene verdunkelte sich einstudiert; ein interessanter
Kontrast zu seinem speckigen Motherfucker-Sweatshirt.
    Er wetzte los, verschwand hinter einem Regal und kehrte aus
einer völlig anderen Ecke zurück. Ich war ziemlich beeindruckt.
    »Die hier sind gut«, sagte er lächelnd. Es klang, als
spräche er über die CD einer neuen Band; ein Geheimtipp sozusagen.
     
    Im Aufenthaltsraum unserer Herberge griff ich mir ein zum
Trinkgefäß geadeltes Ex-Senfglas und füllte es mit Wasser; dann öffnete ich die
kleine, bauchige rote Flasche.
    Die Tabletten waren eigentlich keine; es waren zwar Pillen,
aber eher in dem Zusammenhang, wie ihn American Football-Spieler benutzen. Eine
von ihnen war etwa so dick  wie mein Mittelfinger, durch die Mitte der
Pille lief eine kleine Rille, um sie bei Bedarf durchbrechen zu können –
vorausgesetzt, man war ein kerngesundes Mitglied der sowjetischen Ringerliga;
ich schaffte es jedenfalls nicht. Ich konnte mir aber auch nicht mit einem
Lineal in der Speiseröhre herumfummeln, um zu sehen, ob die Pille durchpassen
würde.
    »Ex oder Arschloch«, sagte ich und würgte das Ding runter
wie eine Boa Constrictor.
    Als zwanzig Minuten vergangen waren, hatte ich noch immer
Schmerzen.
    Ich las die Schrift auf der Flasche. Vielleicht waren die
Pillen konzipiert, um sich damit die betroffenen Zähne auszuschlagen, statt sie
innerlich anzuwenden?
    Ich nahm noch zwei und legte mich eine Runde auf die
zerschlissene Couch im Aufenthaltsraum.
    Ein tiefes Gefühl der Ruhe überkam mich; ich dümpelte weg.
     
    »Dooorrsssdn?«
    Ingo hatte sich über mich gebeugt – oder vielmehr Ingo, wie
er aussehen würde, wenn er aus Marzipan gewesen wäre.
    Ich empfand ihn als derartig bunt, dass ich lachen musste.
    »Dooorrsssdäään?«
    »Was ist denn mit dir los? Red mal vernünftig«, wollte ich
sagen, entließ aber nur einen Schwall nach Kampfer riechender Luft aus meinen
lustig kitzelnden Lungen.
    Ich versuchte aufzustehen, sank aber bis zu den Knien im
Teppichboden ein, wie mir schien.
    »Hui«, sagte ich.
    Ingos Worten zu folgen schien mir unmöglich, aber das war
nicht weiter störend.
    Ich betrachtete ihn lieber: Seine Augen sahen aus wie etwas,
das Rosinen, aber auch Katzenscheiße sein konnte, je nachdem, wie man den Kopf
drehte.
    »Du bist total breit«, stellte er fest.
    Ingo griff unter meine Achseln, um mich ins Bad zu
schleifen, während ich ihn noch immer als das dämlichste Kaleidoskop benutzte,
dass ich je gesehen hatte.
    Er zog mich nicht aus, der verklemmte Ingo: Er stellte mich
einfach unter die Dusche und durchnässte mich, meine Schuhe und meinen Walkman.
    Ich schaffte es trotzdem nicht, ihm böse zu sein; es war
einfach zu drollig, ihm zuzusehen, wie er auf mich einredete. Sein Gesicht
verklumpte mitunter zu etwas, dass einem Pfund nasser Katzenstreu nicht
unähnlich

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