Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
den
Knöcheln im eigenen Schweiß watend.
Mit achtundzwanzig fragte ich meine Mutter, ob sie damals
vielleicht die Soße aus den Stiefeln in Eiswürfelformen gegossen hat, um diese
dann an perverse Japaner zu verschachern. Das hätte erklärt, warum wir die
ersten in der Siedlung waren, die einen kühlschrankgroßen Betamax-Videorecorder
besaßen, aber sie verneinte.
Jedenfalls gingen auch die Stiefel klar. Sie waren nämlich
blau.
»Die Maske, Mutti«, sagte ich, ohne aufzusehen, und das
brachte Erwin auf den Plan, und er begann unverzüglich in Erinnerungen zu
schwelgen – er feuerte seine Piratenbemerkung in meine Richtung.
»Das ist kein Piratenkostüm, Onkel Erwin. Batman. Das ist
Batman!«
Er formte sein schrebergartengebräuntes Gesicht zu einer
Fratze des Abscheus, ohne mit dem Mahlen kleiner Teigfische aufzuhören.
»Was für ein Bettmänn? Was ist das denn für ein schwuler
Freier? BETTMÄNN!«
Sein Ausbruch wurde von einem feinen Regen gesalzenen
Ex-Fischli-Paniermehls begleitet.
»Ich bin damals als Pirat gegangen! Pirat! Bettmänn!«
»Batman ist dufte«, sagte ich und meinte cool.
Im Fernsehen begann Daktari , und ich begann mich zu
fragen, ob es Karneval bereits gegeben hatte, als Erwin ein Kind gewesen war –
falls er jemals ein Kind gewesen war.
Mittlerweile weiß ich, dass er schon damals so alt war, dass
er locker beim Letzten Abendmahl hätte kellnern können, und da er noch immer
lebt, habe ich eine Theorie entwickelt, was seine Geburt angeht: Erwin wurde
irgendwann in den Vierzigern wie Schwarzenegger in Terminator von einer
unerbittlichen Macht in eine schmierige Gasse in Dortmund Scharnhorst gerotzt,
nackt, wie eben diese Macht ihn schuf, und bereits voll ausgewachsen.
»Bettmänn ist ein verfluchter HINTERLADER«, blaffte er, und
meine Mutter schüttelte einen besänftigenden Schwung Salzstangen nach, bevor
sie mir die Maske gab.
»Ich war Pirat! Errol Flynn, weißt du?«
Ich versuchte, mir den aggressiven Klumpen, den Erwin seit
ich denken konnte darstellte, in Satinpluderhosen vorzustellen, und begriff zum
ersten Mal, was er wohl mit schwul meinte; ich hielt trotzdem die Klappe.
»Das ging ruckzuck. Augenklappe aus Pappe, Gürtel vom
Bademantel, Holzschwert, Ommas Badekappe. Feddich! Bettmänn!«
Er musste eine wütende Mischung aus Der rote Korsar, jemand
aus Les Miserables und der Rocky Horror Show gewesen sein, nehme ich heute an,
aber damals schwieg ich weiterhin.
Es nützte wenig.
»Zieh mal an, dein Kostüm«, schnurrte er gefährlich leise,
während er sich den letzten Schub Salzgebäck griff. »Will man sehen, wie es
ausschaut.«
»Klar!«
Ich zog mich ins Badezimmer zurück.
Wenig später betrachtete ich mein neues Selbst im Spiegel;
ich musste mich auf eine kleine Bank stellen und die Armeen von
Tosca-Fläschchen, Lockenwicklern und Wattepads beiseite räumen, aber unser Klo
war nun mal nicht das gefährliche Gotham City – sah man einmal von der
unheimlichen Trockenhaube meiner Mutter ab, die an einem Ständer hing wie der
Schädel einer enthaupteten Sexpuppe.
Das gelbe Papplogo mit der stilisierten Fledermaus prangte
auf der Brust meines Rollis.
Die spitzen Ohren der Maske standen ein wenig idiotisch ab,
aber das würde ich hinbekommen.
Ich war Batman, keine Frage.
Ich sprang elegant von der Bank, marschierte ins Wohnzimmer
und stellte mich dem Schurken aller Schurken: dem Finsteren DEMORWIN (demoralisierender
Erwin), dem Feind, der dich mir-nichts-dir-nichts vernichtete, indem er dir
eines seiner spuckenassen Versandhaustaschentücher durch die Fresse wischte,
wann immer es ihm behagte.
DEMORWIN – der einem Heiligabend versaute, indem er seine
selbstgeschnitzte Krippe aufbaute, deren Figuren aussahen wie die
Nebendarsteller in Die Nacht der lebenden Toten , und unentwegt
haarsträubend zusammengereimte Bibelstorys zum Besten gab.
DEMORWIN – der zu Silvester Tischfeuerwerke abbrannte, die
er von einem Saufkumpanen gekauft hatte, der angeblich Rabatt in einer
Feuerwerksfabrik in Utrecht bekam, und dessen »Kauf eins – bekomme vier
umsonst«-Produkte unsere Wohnung in ein kunterbuntes, aber extrem
renovierungsbedürftiges Objekt verwandelt hatten.
DEMORWIN – der die Verkäufer bei Peek & Cloppenburg wie
die Sklaven aus »Fackeln im Sturm« behandelte, auch wenn er nur Angebotssocken
kaufte, um anschließend mit so großer Geste fünfzig Pfennig Trinkgeld zu geben,
dass einem ganz anders wurde.
»DEMORWIN«, krähte ich, und
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