Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
Knirschen der Kugeln seines Massagebezugs
hatten mir bereits stark zugesetzt, und zusätzlich noch Musik nach Erwins Gusto
erschien mir unerträglich.
Ich war nicht wie Michael Myers aus »Halloween«; wenn man
auf diesen schoss, ihn vom Balkon stürzte, festtackerte, dann anzündete und
ausbluten ließ, lebte er noch immer; schweigend zwar, aber er wandelte nach wie
vor.
Mir reichten fast schon Geräusch- und Duftkulisse im Auto.
Würde Onkel Erwin jetzt noch Freddy Quinn durchs Fahrzeug wabern lassen, wäre
ich geliefert. Die Alternative zum stummen Radio war allerdings gleichsam
Furcht erregend, aber was blieb mir übrig?
»Och nöö … Lass uns lieber plaudern«, hauchte ich.
»Hast du denn schon eine Freundin?« fragte er und kniff eins
seiner glasigen Augen zu.
»Nö«, erwiderte ich, ohne ihn anzusehen.
»Aber du willst schon, hm? Wegen …« Er steckte den Daumen
zwischen Zeige- und Mittelfinger, »dem hier? Hm? Wie?«
Ich schaltete das Radio ein: Henry Valentino, ein
schnauzbärtiger Sittenstrolch im Rüschenhemd, mit »Im Wagen vor mir«.
Ratadadaradatadada … Ich hätte auch gern im Wagen vor
mir gesessen.
Wir fuhren in den Fredenbaumpark, heute eine sichere Bank,
wenn es schon spätabends ist, man aber noch dringend von Vollzeitkiffern ein
paar aufs Maul braucht, damals hingegen tags wie nachts eine Oase im
Grünbraungrauen.
Zu meiner Überraschung fummelte Erwin einen rußgeschwärzten
Grill aus dem Kofferraum, dann eine geheimnisvolle Plastiktüte und einen
Klappstuhl.
Während ich, den Grill schleppend, hinter Erwin her
taumelte, der pfeifend die Plastiktüte und den Stuhl trug, fielen mir zwei
Dinge auf:
Erstens – ich schleppte mich gerade mit acht Kilo
scharfkantigem Schrott ab, während Erwin nur eine Tüte trug, obwohl er sowohl
in Kriegsgefangenschaft als auch unter Tage gewesen war.
Zweitens – er trug nur eine Sitzgelegenheit, obwohl
sein Kofferraum Platz für die Bestuhlung der Berliner Symphoniker gehabt hätte;
offensichtlich sollte ich mich wie Gollum irgendwo hinkauern, während er
seine agilen Rentnerknochen auf diesem Klappding ausruhte.
Ich schwor mir, in ein Shaolin-Kloster einzutreten, um die
Kunst zu erlernen, wie man träge Senioren mit einem Schlag tötet, dann
zurückzukehren, bei Onkel Erwin zu klingeln und ihn spontan in der Mitte zu
spalten. Seine verdutzten Körperhälften würden einmal nach links in die
Eichengarderobe, einmal nach rechts gegen den billigen Louis-Armstrong-Spiegel
fallen, und dann …
»Hier ist gut«, zerknurrte Erwin meine Phantasien.
Er rammte die Füße des Stuhls in die Wiese, betrachtete mich
eine Weile bei meinen Bemühungen, den Grill auszurichten, und sagte dann:
»Geh spielen. Ich ruf dich dann.«
Ich ging spielen.
Zuerst stellte ich mir vor, all die Hundescheiße wären Minen,
und ich müsste sie entschärfen, aber ich war unachtsam und starb zwei Mal.
Dann wusch ich meine Sandalen im Teich, dümpelte herum und
dachte mir Foltermethoden nach Shaolin-Art aus, bis ich das Insekt entdeckte.
Dann rief er.
Ich stand auf; nach zwanzig Minuten konzentrierten
Käferstarrens musste ich mich an Erwins Anblick erst wieder gewöhnen.
Er stand in der Sonne, die Glatze noch mit den roten Furchen
des Kamms zerkratzt, die Hände in den Taschen seiner Jeanshorts, die so knapp
waren, dass er selbst aus einer Schwulenbar wegen allzu frivolen Auftretens
rausgeflogen wäre.
Sein Hemd musste ihm nach Art der Fleisch verarbeitenden
Industrie auf den feisten Leib geschweißt worden sein; ein mintgrünes
Polyesterverbrechen, versehen mit kecken Strickeinsätzen auf der Brust.
Er lächelte, und ich musste an einen Schurken aus den
Bond-Filmen denken, Dr. Debilo vielleicht.
»Geht los.«
Die Kohle glühte bereits. Erwin enthüllte die Geheimnisse
der Plastiktüte: eine Flasche Tritop – ein Konzentrat künstlichen Safts – und
ein fettiger Beutel voller Fleisch.
»Was ist das?«, fragte ich und wies auf das Fleisch – fahle
Lappen geäderten Gewebes, die müde über Erwins Hand hingen.
Ich fragte nicht, wie ich Tritop, dessen Mischverhältnis mit
Wasser eigentlich eins zu sechshundert betragen müsste, trinken sollte.
Woher Wasser nehmen?
Aus dem Kühler des Benz?
Aus dem See?
Aus Onkel Erwins Achselhöhlen? Würde ich dann werden wie er?
Wäre es eine Art Vampirtaufe mit dem Schweiß alter Säcke, und ich würde von
Stund’ an nur noch Kunstlederpantoffeln tragen wollen?
»Das ist Bauchfleisch«, lächelte er. »Sehr
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