Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie

stieß die Wohnzimmertür auf,
worauf die daran befestigte Makramee-Eule bedenklich zu schlingern begann.
    Onkel Erwin stutzte kurz; ich sah niedere Gedanken durch
sein Gesicht und ins Zentrum seines Seniorenhirns kriechen; er öffnete den
Mund. Auf seiner Zunge sah ich die Überreste gefallener Fischlikrieger.
    Dann lachte er so dröhnend, wie ich es nie zuvor erlebt
hatte, nicht mal, als sein Nachbar »Polenwerner« beim schwungvollen Minigolfen
versehentlich den Beutel seines künstlichen Darmausgangs rausgerissen hatte, um
dann an der Bahn mit diesem komischen Looping auszulaufen wie ein schlampig
montierter Androide.
    Er versuchte mehrmals, etwas zu sagen, musste aber jedes Mal
pfeifend abbrechen.
    Irgendwann – während ich die ganze Zeit wie angewurzelt im Zimmer
gestanden hatte – sah er mir direkt in die Augen, wobei er auf das Emblem an
meiner Brust wies.
    »Junge«, sagte er, »ist das ’ne tote Motte? Nee, oder? Sieht
aus wie ein beschissenes halbes Hähnchen!« Er pumpte dröhnend mehrere Liter
toten Rentneratems durch den Raum; dann fing er sich wieder, um mir den
Gnadenstoß zu geben.
    »Du siehst aus wie ein schlecht lackiertes Reh.«
     
    Man könnte denken, ich sei daran zerbrochen.
    Irrtum.
    Ich drehte auf dem Gummiabsatz und ging auf mein Zimmer.
    Ich hörte Abba, aber ich weinte nicht.
    Nachts träumte ich von einem fleischigen Transvestiten mit
einer Augenklappe, die aus einem Bierdeckel gefertigt war. Er war der Alptraum
einer pinkfarben schäumenden See, der scharfkantiges Salzgebäck nach mir warf,
aber ich konnte ausweichen, mein Cape hinter mir flatternd.
    Am Morgen entschied ich, welches mein Kostüm für das nächste
Jahr sein sollte.
    James Bond – der trägt normale Straßenkleidung; außerdem hat
er Goldfinger getötet, ohne mit der Wimper zu zucken.
    Goldfinger: ein alter, glatzköpfiger Sack, der die Welt
unterjochen wollte.
    Dreihundertsechsundsechzig Tage.
    Ich konnte es kaum abwarten.

IV
    Gesetzliche Feiertage im Auge des
Hurricans

Weihnacht 1
    Anspruch:              
*
    Metapherndichte:    *
    Lerneffekte:           
****
    Romantik:              
*
    Action:                   
***
    Sex:                        
*
     
    Während ich meine Vorbereitungen aufs heiligste aller Feste
durchziehe, fallen mir wieder die ganzen Geschichten ein: Es sind alles
Klischees gemeinster und abgenutztester Art, aber man kann nichts dagegen
unternehmen.
    Jede Bemühung, der Nummer eine überraschende Wendung zu
geben, scheitert mit Pauken und Trompeten.
    Vor allem letztes Jahr. Routine.
    Aber dafür kann man sich gut entspannen.
    Der Tag war ja auch generalstabsmäßig geplant; ich hatte
einige Geschenke gekauft, die nur dem Zwecke dienten, die üblichen Leute aus
meiner Familie zu beschämen.
    Jedes Jahr nicken mein Bruder und ich uns onkelhaft zu,
während wir uns beteuern, noch die kleinste Ausgabe zu scheuen.
    Bruder: »Also dieses Jahr wie immer, ne?«
    Ich: »Ja sicher. Keine Geschenke. Null.«
    Bruder: »Null, genau. Reicht ja wenn die Kinder … «
    Ich, ins Wort fallend: »Jaaaaaa, das reicht dicke, sicher …
Nee, nee.«
    2001 schenkte ich ihm pelzverbrämte Fußmatten für sein Auto
und erhielt im Gegenzug einen Blick, der zwischen hündischem Dank und
bodenloser Wut schwankte.
    Aber beginnen wir, wo es richtig ist – am Anfang, und am
Anfang war das Wort.
     
    8.00 Uhr
    Das Wort war eigentlich eine Ansammlung wüster
Mobilmachungsparolen aus meinem Batman-Wecker, der sich sinngemäß wie folgt
äußerte: »AUFSTEHEN, BLÖDMANN! GOTHAM CITY IST IN NOT! IN’S BATMOBIL,
IDIOOOOOOOT!«
    Dazu wurde das entsprechende Fledermaus–Emblem an die Tapete
projiziert, während der Plastikrächer mich aus der Rem-Phase krakeelte. Die
Anschaffung dieses Gerätes kam Selbstgeißelung gleich, aber ähnlich wie bei
Badezimmermatten war sie natürlich erforderlich gewesen. Warum, habe ich
vergessen; es musste wohl der unverschämte Preis in Kombination mit der
Erwartung morgendlicher Demütigung gewesen sein.
    Damals, vor dem Regal von Toys’R’us, hatten sich wohl andere
Gefühle meiner bemächtigt, aber das Hirn ist ein emsiges kleines Eichhörnchen.
    Ein Blick auf den Adventskalender (meine Freundin war so gut
zu mir gewesen; sie bastelte gern und geschickt) zeigte mir das ganze Ausmaß
der zu erwartenden Unbillen.
    Der Kalender – ein Modell, das baumelnde Säckchen statt
Papptüren besaß – war geplündert