Brainspam: Aufzeichnungen aus dem Königreich der Idiotie
verzaubert,
rief er stattdessen:
»Einen kalten Bauern bitte!«
(Kalter Bauer? Ja, Herrgott. Eine Erklärung am Ende des
Buches. Der Herr Lektor kannte den Begriff nicht; falls Sie ihn auch nicht
kennen und wie durch ein Wunder bis zum Ende gelangen … da jedenfalls.)
Danach gewann das Wiegenfest noch an Reiz.
Onkel Erwin entledigte sich irgendwann am Spätabend seines
Jacketts, und wir stellten irritiert fest, dass er die Hosenträger unter dem
Hemd trug. Dieser Umstand unterstützte ihn in seinem Bemühen, uns Teenager beim
Knobeln zu bescheißen, während er immer wieder nach »Söhnlein!« kreischte, wenn
er sein Glas geleert hatte.
Wir tranken Vitamalz, maskulin »Dunkelbier« genannt, und
gegen dreiundzwanzig Uhr begannen die ersten Gäste vor den Adleraugen Uroma
Ernas das Weite zu suchen, Sachen wie »… muss noch am offenen Hirn operieren …«
murmelnd.
Das Geburtstagskind keifte ihnen »Schlafen kann ich auch
noch, wenn ich tot bin« hinterher, was von Ingo mit einem gelallten »Genau!«
quittiert wurde, wobei er sich vermutlich schon inmitten turmhoch aufragender
Dolby-Surround–Boxen sah, jede so teuer wie ein Winter auf Kuba.
Irgendwann begann Erwin schnarrend Vicco-Torriani-Songs zu
singen, indem er einfach die Originalplatte übertönte. Er fuchtelte dabei mit
den Händen, und wenn man sich die Ohren zuhielt, sah es aus wie eine Darbietung
aus der »Rocky Horror Picture Show«, wenn Peek & Cloppenburg sie gesponsert
hätte.
Um halb eins war der Spuk vorbei und die Fronten geklärt.
Uroma Erna war in sich zusammengesackt, und Ingo prüfte von
Zeit zu Zeit ihren Puls, musste aber jedes Mal feststellen, dass sie lediglich
schlief.
Erwin lud uns ein, mit ihm im Taxi mitzufahren.
In Ermangelung stichfester Argumente stimmte meine Mutter
zu; mein Bruder sagte schon seit Stunden nichts mehr.
Ich bin gut erzogen worden, aber der Gedanke, auf der
Rückbank eines Taxis beim Armdrücken mit Erwin mein Taschengeld zu verlieren,
während essigsaure Kölnisch-Wasser-Schwaden meine Hirnzellen verdampften,
setzte mir zu.
Ich war jung, ich brauchte das Geld: Dienstag kam das neue YPS .
»Danke«, sagte ich, »aber ich gehe die siebenundzwanzig
Kilometer zu Fuß.«
Uroma Erna hätte ihren Hut gezogen.
Tinte auf’m Füller
Anspruch:
**
Metapherndichte: **
Lerneffekte:
***
Romantik:
*
Action:
**
Sex:
*
»Ich genoss seine Leber mit einer Marone
und einem ausgezeichneten Chianti.«
(Das Schweigen der Lämmer)
Ich kniete im Gras und beobachtete einen feisten Käfer, der
sich in dieser Hitze mit irgendeiner insektentypischen Tätigkeit abquälte, als
ich Onkel Erwins schnarrende Stimme vernahm.
»Wenn du sehen willst, wie es losgeht, komm her!«
Erwin, seit jeher der Zeremonienmeister des Trivialen, hatte
mir verschwörerisch versprochen, mich in die Geheimnisse des Grillens
einzuweihen. Aus Angst, einen Vortrag über den Verzehr rohen Menschenfleisches
in sowjetischer Gefangenschaft und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten
hören zu müssen, verkniff ich mir den Hinweis, dass den Grill zu beheizen
langatmige, uninteressante Scheiße sei.
»Moment«, erwiderte ich.
Es war ein sonniger Morgen gewesen, als Erwin »uns Kinder«
einlud, mit ihm »ins Grüne« zu fahren. Mein Bruder hatte es geschafft,
autistisch an der Weisung meiner Mutter vorbei zu hören und sich in
Rauchschwaden aufzulösen. Damit Erwin wenigstens eine gefügige Seele in die
Klauen fiel, opferte meine Mutter mich, ihren Letztgeborenen, dem labernden
Gott der Kunstlederpantoffeln, dem Fürst der Beinahe-Finsternis, der
Energiesparlampen als Toilettenlicht benutzte, der grauen Eminenz derer, die
Corega-Tabs mit zwei Phasen für Humbug hielten, weil Spüli es auch täte.
Meine Mutter versprach mir für den Abend einen
Schokoladenkuchen. Das war, als hätten die römischen Soldaten zu Christus am
Kreuz gesagt: »Halt die Nummer durch, dann geben wir ’n Bier aus.«
Er holte mich in seinem beigefarbenen Benz ab. Eine
gigantische Platz- und Energieverschwendung, bedachte man Erwins zwergenhafte
Gestalt.
Es war, als würde man einen Swimmingpool als Katzenklo
benutzen – ein bisschen organische Masse auf gigantischem Raum.
»Stell mal ’n Sender ein«, kumpelte er. Der allgegenwärtige
Geruch von Kölnisch Wasser und das
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